Mit dem Teufel im Bunde
Stadtbefestigung.
Sie hatte ihn noch gesehen, den alten Fächermacher. Er war erst verschwunden, nachdem sie schon einige Wochen hier wohnten; plötzlich, eines Morgens, war die Werkstatt verschlossen geblieben. Sie fragte sich, ob er seine Gerätschaften und Materialien in dem Schuppen zurückgelassen hatte, sie hatte nicht bemerkt, dass er geräumt worden war. Allerdings stand sie – falls sie nicht gerade ein Anfall von Schlaflosigkeit quälte – selten am Fenster und starrte in den Innenhof hinunter.
Ihr schien, als bewege sich dort etwas, vage wie ein Schatten. Das konnte nur ein Trugbild ihrer müden Augen sein, alles schlief um diese Stunde, und die Nacht war viel zu dunkel, als dass etwas echte Schatten hätte werfen können. Zudem war der Himmel bedeckt, er spendete nicht einmal das Licht eines Sterns.
Auch auf der anderen Seite des Hofes konnte jemand nicht schlafen. Die Gebäude am Cremon, auf deren Rückseite sie blickte, unterschieden sich von dem Mietshaus inder schmalen Mattentwiete, in dem sie mit Magnus lebte. Hinter den größeren Fenstern dort drüben wohnten und arbeiteten wohlhabende Familien mit ihrem Gesinde, ein Haus – eine Familie. Hinter einem der Fenster des Eckhauses flackerte ein Licht auf, ein seltsames Licht, es zeugte von Reichtum oder Verschwendung. Oder von großer Angst vor der Düsternis. Es mussten etliche Kerzen sein, die dort jemand mitten in der Nacht entzündet hatte. Etliche Kerzen? Das waren keine Kerzen. Ein Kaminfeuer? Sie kniff die Augen zusammen, und ihr Atem stockte. Die Erstarrung dauerte einen Wimpernschlag, dann stieß sie das Fenster auf und schrie.
«Feueeeer», gellte ihre Stimme durch den Hof, «Feueeeeer.»
Schon glommen hinter anderen Scheiben Lichter auf, diesmal tatsächlich nur kleine von Kerzen oder Tranfunzeln, im Hof wurden Fensterflügel aufgestoßen, sie hörte erregte Stimmen und rasche Schritte, von ferne die alarmkündenden Schnarren herbeieilender Nachtwächter. Nun flackerte drüben ein brennender Vorhang auf, fiel oder wurde heruntergerissen, Fensterglas splitterte, wieder züngelten Flammen hoch, fraßen sich durch den zweiten Vorhang und erstarben, einem Wunder gleich oder als habe ihnen der schwere Stoff nicht geschmeckt, ein dünner Schwall Wassers schwappte durch die zerbrochene Scheibe in den Hof. Von irgendwoher näherte sich hektisches Geklingel und schwerer Hufschlag, die Feuerwehr von der nahen Wache am Hafen war schon unterwegs. Noch einmal züngelte eine Flamme hoch, schon dünn und trotzig – und fiel in sich zusammen.
Rosina spürte ihren schweren Atem, das hämmernde Herz. Kalter Schweiß stand auf ihrer Stirn. Feuer. Fast noch mehr gefürchtet als die hohen Fluten, als das Brechen derDeiche am Fluss. Die alten, engstehenden und ineinander verschachtelten Häuser der Altstadt brannten wie Reisig, wenn irgendwo ein Funke Nahrung fand. Ihre Fassaden mochten hier und da aus Stein gebaut sein, der große Rest bestand aus nichts anderem als Holz und altem Fachwerk von Weidengeflecht oder Stroh und Lehm. Zwar gab es bei der Poggenmühle an der Brücke zur Bastion Ericus den alten Teerhof, in dem abseits der Wohnstraßen gefährliche Güter wie Teer, Pech, Terpentin, Schellack oder Schwefel gelagert wurden, und das neue Hanfmagazin am Elbeufer westlich der Stadt, doch gerade auf den Speicherböden des Cremon lagerten neben Leinen, Lumpen oder Weizen tonnenweise Waren, von denen manche brennbar wie Schwarzpulver waren. Bis die Spritzenmannschaft mit ihren Pumpen und Schläuchen kam, bis die Bewohner und Nachbarn die stets bereitstehenden, mit Teer gedichteten Ledereimer gefüllt hatten und mit den Patschen die Flammen auszuschlagen versuchten, war es oft zu spät. Dann konnte nur – mit großem Glück und Windstille – verhindert werden, dass das Feuer auf die Nachbarhäuser übergriff.
«Verdammt», stöhnte Pauline. Rosina hatte nicht bemerkt, wie die Köchin, von Rosinas Schrei aus dem Schlaf gerissen, in die Kammer gestürzt gekommen war. «Da hat unser Herrgott eine Menge Schutzengel parat gehabt. Ist es tatsächlich gelöscht?»
Rosina nickte. Ihr Mund war trocken, als sei sie selbst dem Feuer zu nah gekommen. «Es scheint so. Weißt du, wer dort wohnt?»
«Die van Keupens. Es ist das alte Wohn- und Kontorhaus der Familie. Ihren Speicher hat die Madam drüben auf der anderen Seite des Cremon, mit den Ladeluken und der Seilwinde an der Rückfront zum Nikolaifleet.»
«Tatsächlich? Dann hat Monsieur Vinstedt dort
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