Mit dem Teufel im Bunde
Frau, die alle mehr oder weniger gut gekannt hatten, plötzlich zusammenfand? Jedenfalls waren alle in Kleidern von dunklen Farben erschienen. Bis auf die junge Madam Vinstedt, die mit der Hoffnung auf Nachsicht in zarten, mit blauvioletten Streublumen geziertem Lavendel und weißen Spitzenvolants an den Ärmeln zwischen all dem Dunkelgrau, Dunkelblau und Maronenbraun saß. Rosina war an die Gepflogenheiten in der alten Hansestadt noch nicht gewöhnt. So oder so war das dunkelblaue Taftgewand, der Stolz ihrer Garderobe, für diesen nachmittäglichen Anlass zu festlich.
Einzig Mademoiselle Stollberg hatte die Einladung falsch verstanden. Auch sie trug angemessene Halbtrauer, ein schlichtes schiefergraues Gewand mit mausezahnschmaler weißer Spitze an Ärmeln und Dekolleté, aber sie hatte eine Abschrift des neuen Stücks von Monsieur Lessing mitgebracht und sich gründlich vorbereitet, mindestens einen der fünf Aufzüge vorzulesen. Mit der angemessen tragischen Betonung, denn es handelte sich um seinneues Trauerspiel
Emilia Galotti
, das erst zur Ostermesse in Leipzig erschienen war. Leider hatten die anderen Damen nur verhaltene Begeisterung für die von ihr tief verehrte Literatur gezeigt. Wie gewöhnlich.
Das Kaffeekränzchen war eine Reaktion auf die ständigen ausgedehnten Kaffeehausbesuche der Männer und die Gründung der
Patriotischen Gesellschaft
, eines für das Wohl der Stadt und seiner Bewohner zusammengeschlossenen Kreises von Gelehrten und Kaufleuten. Frauen waren nicht zugelassen. So weit waren die patriotischen Herren in ihrer gern postulierten Vernunft doch nicht fortgeschritten, dass sie selbst den gebildeten Frauen der Stadt Zugang gewährten. Wahrscheinlich blieben sie einfach gern unter sich.
Das Kränzchen bestand in wechselnder Zusammensetzung schon seit einigen Jahren. Meistens fand es in der Wohnung der Matthews am Jungfernstieg statt, in dem ganz im chinesischen Stil erlesen ausgestatteten Salon. Nur manchmal kamen Madam Augusta oder Madam Büsch der quirligen Agnes Matthew zuvor. Mademoiselle Stollberg hatte sich einzig dazugesellt, weil das Kränzchen als Lesegesellschaft ins Leben gerufen worden war und sie sowohl auf geistigen als auch auf den Austausch von Büchern gehofft hatte. Leider wurde selten gelesen.
«Emilia Galotti, wie interessant», sagte Madam Büsch und verschwieg rücksichtsvoll, dass sie und ihr Gatte als gute Freunde des Dichters und Wolfenbütteler Bibliothekars auch eine Abschrift besaßen. «Wenn wir uns ein wenig an diesen delikaten Kuchen und einem Tässchen Kaffee gelabt haben, dann …»
«Ach ja, Lessing», unterbrach sie Henny Wildt. «Eine Schande, dass er die Stadt verlassen hat. Es war mir nicht oft erlaubt, das Theater zu besuchen, doch mir hat es gut gefallen. Es ist so bedauerlich, dass er seine Stellung verlor, alsdas Unternehmen am Gänsemarkt so schnell wieder schließen musste. Es wäre sicher noch besser geworden und hätte mehr Publikum gehabt. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie es ihm in Wolfenbüttel ergeht. Ich bitte Euch: Wolfenbüttel! Seit der Hof nach Braunschweig gezogen ist, gibt es dort nur ein leeres Schloss und Gemüsebauern. Ein Mann, der sich so gerne in Gesellschaft und bei gelehrten Gesprächen vergnügt, muss dort vor Langeweile und Einsamkeit vertrocknen.»
«Ach ja, das Theater.» Anne Herrmanns heftete ihren Blick fest auf Rosina. Endlich ein Thema, das ihr half, ihrer bisher schweigenden Freundin zur Aufmerksamkeit der anderen Damen zu verhelfen. «Du kennst unseren verehrten Lessing doch recht gut von deiner Zeit am Gänsemarkttheater, Rosina. Denkst du auch, er wird in diesem Landstädtchen der Melancholie erliegen?»
Alle Gesichter wandten sich Rosina zu, strenge, wohlwollende, neugierige. Alle Damen wussten um ihre Vergangenheit als Komödiantin, dass darüber so offen und leicht gesprochen wurde, war allerdings frappierend. Aber natürlich, Anne Herrmanns war Engländerin, da sie von der Insel Jersey stammte, nur wenige Meilen von der französischen Küste, auch beinahe, ein wenig, von französischem Naturell. In London waren Theater und Oper Vergnügen
aller
Klassen, sie wurden selbst von der königlichen Familie unterstützt und sogar regelmäßig besucht. In der französischen Hauptstadt sowieso.
«Richtig.» Madam van Witten tätschelte Rosina, die ihren Platz zwischen ihr und Madam Büsch hatte, die Hand. «Habt Ihr unsere junge Freundin je singen gehört?», fragte sie munter in die Runde. «Leider habe
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