Mit dem Teufel im Bunde
hegte, weil er überzeugt war, dessen Töne berührten die Zuhörer stärker. Leider dauerten diese beliebten musikalischen Abende bis zu drei Stunden, zu lange für Augustas begrenzte Liebe zur
Musica
.
Vielleicht, so dachte sie nun, hätte sie doch mitgehen sollen. Ihr letzter Besuch in einem Konzertsaal hatte im Mai dem Oratorium
Der Messias
von Georg Friedrich Händel gegolten. Mister Arne, ein renommierter Londoner Komponist, hatte diese erste Aufführung im ganzen Reich geleitet, die Musik und insbesondere der Gesang des Chores hatten sie tief bewegt und wieder an den guten Telemann denken lassen. Auch fünf Jahre nach seinem Tod vermisste sie ihren alten Freund. Von Carl Philipp Emanuel Bach, seinem Patensohn und Nachfolger im Amt, hieß es, seine Kompositionen seien bedeutender und zeitgemäßer, das verstand sie nicht zu beurteilen. Bach und seine Gattin waren angenehme Menschen, einen alten Freund konnten sie nicht ersetzen. Das konnte niemand.
Die
Hamburgischen Addreß-Comtoir-Nachrichten
hatte sie heute wenig interessant gefunden, anregender fand sie den
Wandsbecker Bothen
aus dem Dorf vor den Toren der Stadt. Es war ein bescheidenes Blatt, das der junge Claudius da neuerdings herausgab, allerdings mit exzellenten, der Vernunft und Toleranz verpflichteten Autoren. Leider hatte es bisher nur wenige Leser.
Ermüdet legte sie ihre Lektüre auf das Tischchen neben ihrem Lehnstuhl. Es war so still im Haus. Niklas, ihr jüngster Großneffe, lernte in seinem Zimmer, jedenfalls sollte er das, wahrscheinlich hockte er mit heißen Wangen über einem Buch voller exotischer Käfer und Schmetterlinge, die er zum Ärger seines Vaters dem Lernstoff an der Lateinschule vorzog. Christian, der älteste Sohn des Hauses und im Herrmanns’schen Handel schon unersetzlich, war zu einer Partie Billard mit seinen Freunden ausgegangen. Dagegen hatte sein Vater nichts einzuwenden. Es hätte Christian auch nicht beeinträchtigt, er war ein selbstbewusster junger Mann, der längst seine eigenen Wege ging.
Der Gedanke an seine Schwester, Augustas Großnichte Sophie, ließ sie seufzen. Sophie hatte vor einigen Jahren für einen saftigen Skandal gesorgt, als sie sich von ihrem engstirnig-bigotten Ehemann scheiden ließ und bald darauf Jules Braniff heiratete, einen verwegenen englischen Kapitän, tatsächlich mehr ein Freibeuter. Sein Charme und seine männliche Schönheit hatten auch Augustas altes Herz berührt. Dass Braniff Annes Jugendfreund war, hatte die Geschichte nicht einfacher gemacht. Nun lebte Sophie mit ihm, Sohn und Tochter in einem Ort, der Baltimore hieß, irgendwo an einer weit ins Land reichenden Bucht der Atlantikküste von Maryland. Sophie war jetzt glücklich, ihre Briefe sprachen eine deutliche Sprache. Das allein zählte, Augustas Seufzer galt einzig der großen Entfernung zu der amerikanischen Hafenstadt.
«Madam Augusta?» Betty, Annes Zofe, steckte den Kopf durch die einen Spalt geöffnete Tür. «Verzeiht, wenn ich störe, ich habe geklopft.»
«Ich war nur in Gedanken, Betty. Was gibt es?»
«Es ist spät und auch sonst nicht die passende Stunde, aber in der Diele ist Besuch. Sie besteht darauf, Euch zu sprechen.»
Augusta blickte stirnrunzelnd zu ihrer Uhr. «Du sagst ‹sie›? Ist es Madam Vinstedt?»
Sie konnte sich niemanden als Rosina vorstellen, der ein so eiliges Anliegen hatte.
«Es ist Madam Koch, die Witwe des Advokaten. Sie sagt, sie muss Euch unbedingt sprechen, sofort. Vielleicht solltet Ihr sie empfangen, Madam Augusta, sie sieht aus wie kurz vor dem Schlagfluss. Soll ich Euch beim Umkleiden helfen?»
«Nein, wer mich um diese Stunde unbedingt und sofort sprechen will, muss mich nehmen, wie ich bin. Hilf mir nurin die Schuhe, sonst denkt sie noch, ich bin krank. Und nimm ein zweites Glas aus der Vitrine und zieh den Lehnstuhl vom Fenster heran. Danke, Betty, jetzt bring sie herauf.»
Obwohl Augusta Madam Koch nur flüchtig kannte, störte sie der überraschende Besuch nicht im mindesten, er machte sie nur neugierig. Monsieur Koch war ein angesehener Advokat gewesen und im Sommer an der Wassersucht gestorben. Ein schwerer Tod; Augusta hoffte, ihr werde so etwas erspart bleiben. Sie konnte sich nicht vorstellen, was seine Witwe zu ihr führte.
Als Madam Koch eintrat, erhob sie sich, um die Besucherin zu begrüßen. Betty hatte recht gehabt, Madam Koch sah alles andere als gesund aus. Sie war eine rundliche kleine Dame in Witwentracht, ihr graues, gekräuseltes Haar wurde nahezu
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