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Mit dem Wolf in uns leben. Das Beste aus zehn Jahren Wolf Magazin (German Edition)

Mit dem Wolf in uns leben. Das Beste aus zehn Jahren Wolf Magazin (German Edition)

Titel: Mit dem Wolf in uns leben. Das Beste aus zehn Jahren Wolf Magazin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elli H. Radinger
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Wolf am Rehkadaver sah, beobachtete ich ihn aufgeregt vom Wohnzimmerfenster aus und schrieb in mein Tagebuch, als er aus seinem Schlaf erwachte, seine Pfoten leckte, aufstand und sich ausstreckte:
     
    8. Dezember
    „Der Wolf ist endlich aufgestanden, und ich kann sehen, dass er ziemlich dunkel ist, sein Haupthaar grau mit schwarzen Spitzen, mit hellen Augenbrauen und Wangen und rötlichem Fell hinter den Ohren. Seine lohfarbenen Beine scheinen spindeldürr über diesen großen Pfoten. Und er hat ein Radiohalsband an. Ich wusste nicht, dass in diesem Teil des Waldes irgendjemand Wölfe studiert.
    Ein Wolf verzaubert den Ort, an dem er sich befindet. Hier ist die gleiche bekannte Szene, die dunkle Kontur des Waldes, der auf den weißen Schnee der Lichtung trifft, die großen Fichten im Vordergrund und die vertikalen Linien der jungen Espen, die sich im Osten verdichten. Aber jetzt ist der Wolf da, und es gibt eine Konzentration von größter Wichtigkeit. Die eingefrorene Szene ist plötzlich mit Leben erfüllt.“
    Aber meine große Aufregung, ihn hier zu haben, wurde bald gedämpft. Ich schrieb:
    „Dies ist ein verletzter Wolf. Er hält seine rechte Pfote hoch und humpelt. Ein paar Mal ist er im weichen Schnee auf dem Weg zwischen dem alten Kadaver am Wald und dem neuen Kadaver auf der Lichtung hingefallen. Sein Schwanz ist fest eingeklemmt, außer wenn er Raben jagt, dann hält er ihn leicht aufrecht.
    Seine Bewegungen sind steif und unbeholfen. Er ist sehr dünn. Wenn er sich von mir weg dreht, sieht sein Körper schmaler aus als sein Kopf. Und er scheint von all dem nicht begeistert zu sein. Er ist schlapp, unentschlossen und unglücklich.
    Als er zuerst aufwachte, betrieb er ein wenig Körperpflege, aber ansonsten blieb er liegen, entweder eng zusammengerollt, oder er beobachtete mit leicht zurückgestellten Ohren die Raben. Die Raben wurden mutiger, und er konnte es kaum aushalten, sie bei dem Rehkadaver zu sehen. Sie fielen aus den Bäumen auf das jeweilige Reh herunter, an dem er gerade nicht war, und er musste sich beeilen, um zu ihnen zu kommen und sie hoch zu scheuchen. Sie versammelten sich auf dem anderen Reh, und wieder musste er los.“
     
    10. Dezember
    „Der Wolf ist immer noch bei dem Reh. Falls er es jemals verlässt, muss das wohl in der Nacht sein. Er scheint schwächer und hat den älteren Kadaver schon den Raben überlassen. Nun ist seine einzige Möglichkeit, den jetzigen Kadaver zu verteidigen, sich auf ihn zu legen. Dennoch schleichen sich die Raben näher. Der Wolf, der sie mit dem Kopf auf den Pfoten beobachtet, kräuselt seine Lippen. Plötzlich schießen die Raben wieder mit aufgeregtem Geflatter auf. Der Wolf hat wohl geknurrt. Aber eine Minute später sind die Vögel wieder da.
    Ich beobachte Gary, wie er den Schneeschuhpfad hinunter geht, außer Sicht, aber nicht außer Gehör. Als er den Fuß des Hügels erreicht, steht der Wolf auf und beobachtet ihn aufmerksam, die Ohren aufgerichtet. Aber einen Augenblick später entspannt er sich und legt sich wieder hin.“
     
    12. Dezember
    An diesem Morgen, dem fünften Tag, war es Zeit, ihm noch ein Reh zu bringen. Er scheint nicht mehr so viel Energie wie vorher zu haben. Aus der Art und Weise, wie er sich schüttelt und streckt, nehme ich an, dass er nicht mehr so viel Kraft hat. Die meiste Zeit verbringt er liegend und manchmal sieht es aus, als ob er hustet. Selbst wenn an dem alten Kadaver noch Fleisch übrig ist, ist dies sicher für ihn zu schwer zu erreichen.
    Bis jetzt hatten wir immer noch versucht, außer Sicht zu bleiben, damit er sich bei dieser leichten Futterquelle wohlfühlt. Nun stand ich vor dem Haus, wo er mich sehen konnte, und hoffte, dass er sich irgendwie an uns gewöhnt hätte. Während der letzten Tage hatte er sicherlich schon einige Gerüche von uns aufgenommen und uns kurz gesehen. Aber nein, er stand sofort auf, eilte in den Wald und schaute über seine Schulter nach mir zurück. Ich legte das Reh hin und verschwand. Aber er kehrte nicht zurück.“
     
    13. Dezember
    Der Wolf ist wieder da. Er hat ein wenig gegessen, aber dann die meiste Zeit des Tages damit verbracht, zwischen den zwei Kadavern in der Mitte der Lichtung zu liegen. Er gibt sich keine Mühe mehr, die Raben wegzujagen. Sie sind überall auf den beiden Kadavern.“
    Beim Sonnenuntergang desselben Tages war er verschwunden. Zehn Stunden später wurden wir mit seinem Gesicht konfrontiert, das sich gegen unsere Scheibe presste. Als wir dorthin

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