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Mit den Augen der Fremden

Mit den Augen der Fremden

Titel: Mit den Augen der Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gordon R. Dickson
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zwei Expeditionen gekostet. Das Lied schilderte, wie der Brutogas – damals noch Brutogas Drittvetters Erstkind von den Leechena – mit nur zwölf Begleitern von all den vielen, die mit ihm gezogen waren, zurückgekehrt war. Und wie er dann jene anderen elf bezichtigt hatte, Verbrechen gegen die Expedition begangen zu haben, und wie er alle elf zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang eines Tages getötet hatte – und damit die Siedlung für sich gewonnen und das Reich der Brutogas geschaffen hatte.
    Das Lied endete. Die Frau ging an ihre Arbeit zurück. Jason stand da, erfüllt von den Bildern, die das Lied in seiner Phantasie erzeugt hatte. Ebenso wie er selbst war der ursprüngliche Brutogas nur ein entfernter Verwandter einer berühmten Familie gewesen. Nicht daß ihm das gar soviel bedeutet hätte. Große Männer gab es überall – aber Qualität erzeugt Qualität, daran bestand auch kein Zweifel. Und unter Jasons Ahnen gab es solche hoher Qualität, wenn er auch einige Verwandtschaftsstufen von der Hauptlinie entfernt war.
    Dann erreichte er endlich die Tore des Schlosses Brutogas und wurde von dem Wächter am Tor, der alle Angehörigen der Familie vom Sehen kennen mußte, eingelassen. Er betrat den Hof unter dem zweiten Stock, wo die direkten Mitglieder der Familie lebten, und dem dritten – der höchsten gesetzlich zulässigen Wohnetage –, wo der augenblicklich herrschende Brutogas selbst seine Wohnung hatte. Er und all die Mütter seiner Söhne bewohnten eine Fläche von beinahe einem Quadratkilometer an Korridoren und Räumen.
    Jason war ein Zweitvetter und hatte daher ein Zimmer im obersten der höchsten Kellergeschosse des Schlosses. Er ging hinunter. Es tat gut, die Tür hinter sich zu schließen und in diesem kleinen, viereckigen Raum mit den leeren Wänden und dem Bild des ersten Brutogas in der Ecke zu stehen. Es war noch ebenso, wie er es verlassen hatte, als er vor einer halben Periode zum Aufklärungsflug ausgezogen war. Das Sonnenlicht fiel schräg durch die hohen Halbfenster über Jasons Kopf und zauberte vertraute Muster aus Licht und Schatten auf den kleinen Waschteich darunter, die kreisförmige Schlafpritsche und das Schränkchen mit Jasons Besitztümern.
    Er hatte seinen ganzen Harnisch abgenommen, als die Tür ihn ansprach und verkündete, daß jemand draußen war. Er öffnete und sah die Gestalt von Bela Erstvetter, eine Generation älter als er und dem ursprünglichen Brutogas eine Verwandtschaftsstufe näher. Bela reichte ihm einen kleinen, goldglitzernden Gegenstand.
    „Das ist für dich vom Brutogas“, sagte Bela. Sie waren Verwandte und beinahe Freunde, und so musterten sie einander fast ohne jede Spannung. „Und du sollst morgen ein Zimmer im Erdgeschoß beziehen.“
    Er salutierte und verließ Jason. Jason blickte auf den goldenen Gegenstand in seiner fellbedeckten Hand. Es war eine Halbehre, der kleinere von zwei Familienorden, die das Familienoberhaupt seinen entfernteren Verwandten verleihen konnte. Jasons Brust hob sich, und ein tiefes Gefühl bewegte ihn. Er war also nicht unbekannt geblieben – die Tatsache, daß er, ein Angehöriger der Familie, eine Manifestation des Zufallsfaktors wie das fremde Artefakt entdeckt hatte und dann allein zurückgekehrt war.
    Zugegeben, nur ein einziger Mann hatte sich neben ihm auf dem Aufklärer befunden … Und das ursprüngliche Familienoberhaupt hatte an jenem fernen Tag mit elf anderen gekämpft – gar nicht zu sprechen von jenen, die von Anfang an der Expedition angehört hatten, von der jener erste Brutogas und seine Begleiter zurückgekehrt waren. Aber immerhin war sein eigener bescheidener Fall nicht völlig unbemerkt geblieben.
    Sein Inneres war bewegt von Stolz und Liebe. Er wandte sich dem Bild des Brutogas in der Ecke zu und kauerte langsam vor ihm nieder. Er kreuzte die Vorderarme vor der nackten Brust. Freude und Schmerz, fast zu groß als daß er sie ertragen konnte, erfüllten ihn. Er blieb in dieser ehrerbietigen Stellung, bis die Sonne draußen an seinem Fenster vorbeizog.
    „Gib mir Schatten … gib mir Wasser … gib mir Kraft …“ betete er.
    Und in seinem eigenen Kellerzimmer auf der Erde erwachte Jason – allein, um festzustellen, daß sein Kopfkissen erneut von Tränen getränkt war.
     

 
6
     
    „Aber warum?“ wollte Thornybright bei der nächsten Sitzung des Ausschusses wissen, „warum gibt er nur den Wurm nicht weiter, damit wir endlich unsere Mechanismen auch in den Blutstrom und das Gehirn

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