Mit den Augen der Fremden
nahen Verwandten, den er gerne mochte, hinrichten lassen, nur damit die Mannschaft auf dem Schiff ihn bewunderte.“ Coths Atem ging schneller. An seinen Wangen waren zwei hektische rote Flecken zu sehen. „Und nach dem, was Sie für richtig befunden haben, uns über ihn und seine Rasse mitzuteilen, ist das also edel!“
„Edel nach seinen Begriffen, nicht nach den unseren“, antwortete Jason. Er sah sich im Raum um. „Gibt es denn hier gar niemanden, der bereit ist, den Unterschied zwischen Menschen und Ruml objektiv zu sehen?“
„Natürlich“, sagte Swenson. „Sie brauchen uns bloß zu sagen, was das für Unterschiede sind und was sie zu bedeuten haben.“
„Aber genau das ist es doch, was ich herauszubringen versuche“, sagte Jason wütend. „Ich verlange ja nur von Ihnen, daß Sie endlich einmal glauben, daß die Ruml von vornherein anders sind als wir und daß Sie von dieser Voraussetzung aus ihre völlig anderen Gedanken, Handlungen und Ideen begreifen müssen!“
„Und wenn wir das begriffen haben, was dann?“ fragte Coth. „Wenn wir sie verstehen, wird das dann Kator und seine Expedition aufhalten? Oder die Ruml, die nach ihnen kommen?“
„Nein“, sagte Jason. „Aber wenn wir sie verstehen, können wir ihnen vielleicht erklären, warum sie uns nicht zu töten brauchen oder nicht töten sollten, warum sie unsere Welt nicht erobern müssen, wie sie es vorhaben. Begreifen Sie denn nicht?“ schrie er Swenson an. „Die wissen es nicht anders. Und wir auch nicht – noch nicht. Aber in mir liegt eine Chance, in mir und meinem Kontakt mit Kator. Also ist es unsere Verantwortung, die Antwort zu finden, nicht die ihre.“
Einer der Anwesenden, der noch nie etwas gesagt hatte, knurrte unartikuliert.
„Hören Sie doch auf,“ sagte Jason und sah angewidert zu ihm hinüber. „Ich bin ebenso ein Mensch wie Sie. Das ist kein Fremder, der aus meinem Mund spricht.“ Der Mann, der geknurrt hatte, holte sich eine Zigarette heraus, studierte sie und zündete sie sich an – ohne dabei Jason anzusehen oder in irgendeiner Weise zu erkennen zu geben, daß er es gehört hatte.
„Nur zu“, sagte Swenson geduldig. „Erklären Sie es uns doch.“
„Schauen Sie …“ sagte Jason und beugte sich in seinem Stuhl vor. „J. P. Scott hat um 1960 einen Artikel in Science geschrieben, der sich mit den kritischen Perioden der Verhaltensentwicklung befaßte. Ich habe seinen Artikel soeben noch einmal gelesen. Er weist darauf hin, daß es in der Verhaltensentwicklung eine erstaunliche Flexibilität gibt. Bei Menschen und Hunden können diese Perioden zum Beispiel in umgekehrter Reihenfolge auftreten …“
„Welche Perioden?“ fragte Swenson.
„Nun, sie sind von Spezies zu Spezies verschieden. Der Sperling zum Beispiel, erklärt Scott, hat sechs Entwicklungsperioden, der Hund vier. Zuerst kommt die neonatale Periode, die Säugeperiode. Dann die Übergangsperiode, in der der Welpe den Übergang zu den erwachsenen Freß- und Bewegungsmethoden durchmacht. Die dritte ist dann die Sozialisierungsperiode, in der der junge Welpe zum erstenmal anfängt, mit seinesgleichen Verbindung aufzunehmen, in der er spielt und primäre soziale Bindungen eingeht. Die vierte und letzte Periode, die jugendliche, wird durch den Anfang der endgültigen Entwöhnung gekennzeichnet – Unabhängigkeit.“
Jason hielt inne und schluckte. Seine Kehle war trocken.
„Und was hat das zu sagen?“ fragte Coth.
„Begreifen Sie denn nicht?“ fragte Jason. „Überlegen Sie doch, wie groß der Unterschied zwischen einem Hund und einem Menschen ist. Und doch stimmen diese vier Perioden – wenn auch nicht in dieser Reihenfolge – mit ähnlichen Perioden in der Entwicklung des Menschen überein. Aber von diesen vier Perioden ist nur eine mit einer Periode der Rumlentwicklung vergleichbar. Die anderen sind entweder unbewußt oder in der Entwicklung eines jungen Individuums, wie Kator es ist, von Anfang an überhaupt nicht vorhanden.“
„Was wollen Sie damit sagen?“ fragte Swenson, nahm die Brille ab und begann sie mit seinem Taschentuch zu reinigen.
„Haben Sie denn meine Berichte nicht gelesen?“ fragte Jason.
„Kator war nach menschlichen Begriffen etwa zehn Jahre alt, als er bewußt zu denken und zu empfinden begann. Bis zu seiner Geburt mußte seine Mutter ihn drei Jahre lang austragen. Die nächsten sechs Jahre verbrachte er in einem Beutel. Dabei hat er sich zwar physisch entwickelt, ist aber kaum gewachsen und war
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