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Mit den Augen der Fremden

Mit den Augen der Fremden

Titel: Mit den Augen der Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gordon R. Dickson
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ebenso bewußtlos wie ein Mensch in einem tiefen Schlaf. Die Atmung und die Ernährung erfolgten nur durch instinktive Reflexe. Und dann fing er in seinem zehnten Jahr plötzlich zu wachsen an. Binnen einer Woche war er für den Beutel zu groß, der sechs Jahre lang sein Heim gewesen war. Er erwachte, gewann sein Bewußtsein, kroch aus dem Beutel und verließ seine Mutter. Binnen ein oder zwei Stunden, nachdem er sie verlassen hatte, ging er aufrecht und war physisch imstande, für sich selbst zu sorgen – praktisch ein junger Erwachsener in Miniaturausgabe, bereits entwöhnt. Allein gelassen, wäre er von seiner Mutter weggegangen. Unter den Bedingungen der Rumlzivilisation wurde er erst zum Familienoberhaupt geführt, erhielt einen Namen und ein eigenes Zimmer. In den nächsten zwei Jahren wuchs er auf neun Zehntel seiner Erwachsenengröße an und nahm seinen Platz in der Rumlgesellschaft ein.“
    Jason hielt inne, räusperte sich und sah sich um. Keines der Gesichter, die ihn anstarrten, zeigte die geringsten Anzeichen dafür, daß die Implikationen dessen, was er gesagt hatte, begriffen worden waren. Sie zeigten eher Anzeichen von Unruhe und Langeweile.
    „Verstehen Sie denn nicht – können Sie denn nicht verstehen?“ appellierte Jason an Swenson. „All die Dinge, die ein menschliches Kind in zehn Jahren bewußter Assoziation, in zehn Jahren des Aufwachsens mit seinen Eltern oder anderen Erwachsenen lernt, sind einem Ruml völlig unbekannt. Mutterliebe ist unbekannt. Kindliches Spiel und kindliche Anpassung an die Gesellschaft sind unbekannt. Der ganze Prozeß des Lernens durch Beispiele ist unbekannt. Anstelle all dieser Dinge stehen Reflexe oder eine instinktive Konditionierung, über die wir nur Vermutungen anstellen können. Kators Gründe für das, was er tut, sind nach unseren Begriffen unerklärlich – aber für ihn sind sie selbstverständlich –, und wir müssen begreifen, warum sie das sind, wenn wir den Angriff der Ruml aufhalten wollen!“
    Endlich war Jason zu einem Ende gekommen. Swenson sah ihn an.
    „Es tut mir leid“, sagte er schließlich, „ich verstehe Sie nicht, und Sie haben mich auch nicht überzeugt, daß all dieses Studieren und Suchen zu irgend etwas Wesentlichem führen soll. Ganz abgesehen davon, daß es ungemein wichtig und zwingend ist, jetzt die Rumlexpedition dort oben auf der anderen Seite des Mondes zu umzingeln. Wollen Sie uns jetzt sagen, wo sie sind?“
    „Nein“, sagte Jason. Er stand auf, schwankte etwas und griff nach dem Stuhl, um sich daran festzuhalten.
    „Und Sie werden nichts unternehmen, weil ich Ihnen jetzt sage, daß Sie unmöglich die andere Seite des Mondes absuchen können, ohne daß man Sie entdeckt. Und wenn man Sie entdeckt, wird die Rumlheimatwelt dies sofort erfahren, und die Invasion wird beginnen. Also – ich sage es Ihnen nicht, und Sie werden sie in Ruhe lassen.“
    Er wandte sich ab und ging auf die geschlossene Tür zu. Auf halbem Wege blieb er plötzlich stehen und sah sich noch einmal um.
    „Ich werde Ihnen sagen, was jetzt kommt“, sagte er. „Jetzt, da die Ruml sich auf dem Mond eingegraben haben. Sie werden kleine Übertragungsgeräte zur Oberfläche der Erde schicken, um Bilder von uns und unserer Umgebung zu bekommen. Ich werde Sie darüber informieren, wohin die einzelnen Geräte geschickt werden – und wenn es dort etwas gibt, von dem Sie nicht wollen, daß die Ruml es sehen, können Sie ja dafür sorgen, daß das Gerät ‚zufällig’ zerstört wird.“ Er hielt inne und sah sich um. „Und unterdessen“, fuhr er dann fort, „werde ich mit meiner Arbeit fortfahren, und Sie werden mich nicht dabei stören. Ich bin nämlich die einzige Verbindung mit dem feindlichen Lager, und Sie können mich nicht zwingen.“
    Er lachte – oder besser gesagt, er hatte lachen wollen. Aber es war nur das heisere Bellen eines Erschöpften.
    „Weil ich nämlich“, sagte er und grinste dabei verzerrt, „weil ich nämlich ebenso bereit bin wie Sie, mein Leben für die Rettung dieser Welt zu geben. Nur auf meine Weise – ebenso wie Sie auf die Ihre …“
    Er drehte sich um, öffnete ungeschickt die Bibliothekstür und ging hinaus, schloß sie hinter sich. Draußen taumelte er und stützte sich mit der Hand an der Wand.
    Aus dem Inneren des Raumes, den er im Moment verlassen hatte, durchdrang eine Stimme die dünnwandige Tür. Es war keine vertraute Stimme, und er vermutete daher, daß sie einem der Männer gehörte, die stets anwesend

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