Mit den Augen der Fremden
auszuliefern, die uns zehn zu eins überlegen sind. Dann, als sie dich nicht fanden und ich langsam erkannte, wie alle anderen darüber dachten – was sie vorhatten, falls sie dich erwischen würden –, wurde mir plötzlich klar, daß es mir egal war.“
Er sah sie an. In seinem fiebrigen Kopf summten und sangen ihre Worte, ohne verständlich zu werden.
„Jason …“ sagte sie. Sie griff durch die Decke nach seinem Oberarm. „Verstehst du denn nicht? Du mußt verstehen! Mir ist es egal, was du getan hast! Ich war stolz auf dich – ich dachte immer, alles müßte entweder richtig oder falsch sein, ganz gleich, was ich darüber dachte. Aber das kann ich nicht mehr!“ Sie beugte sich vor und drückte ihn durch die schwere Decke an sich, preßte ihr Gesicht gegen die grobe Decke über seiner Brust. „Nur du bist für mich wichtig. Du!“ Ihre Arme preßten ihn an sich, als wollte sie ihn erdrücken. „Und sie werden dich nicht erwischen! Das werde ich nicht zulassen!“
Er sah ihr dunkles Haar unter seinem Kinn, er öffnete den Mund, wollte etwas sagen, aber seine Lippen zitterten nur, er brachte keinen Laut heraus. Und dann sah er, wie sich hinter ihr ein schwarzer Schatten bewegte, wie sich das Licht von der Decke verdunkelte. Einen Augenblick verschwand er, dann tauchte er wieder auf.
Er näherte sich ihnen, und plötzlich wurde der Umriß eines Mannes und dann einiger Männer, einer hinter dem anderen, daraus. Sie schlichen sich heran, während Mele sich immer noch an ihn klammerte und er dasaß, unfähig, etwas zu sagen.
Sie bemerkte ihre Anwesenheit nicht, bis ihre Hände sie packten und wegzogen. Und erst dann wurde ihr bewußt, daß sie Jason gefunden hatten, und sie fing an, sich zu wehren.
22
„Warum haben Sie das getan?“ fragte Swenson.
Das war die gleiche Frage, mit der sie auf Jason eingehämmert hatten, seit sie ihn und Mele aus dem Stiftungsgebäude hierher gebracht hatten – wo immer es auch sein mochte. Was sie mit Mele gemacht hatten, wußte er nicht. Was sie mit ihm getan hatten war, daß sie ihn in diesen kahlen Raum mit ein paar geradlehnigen Stühlen gebracht hatten, wo ihn Männer, die er noch nie zuvor gesehen hatte, immer wieder mit dieser einen Frage quälten.
Der Grund, warum sie Fragen stellen und eine Antwort von ihm erwarten konnten, war, daß die Chemie an seinem kranken und erschöpften Körper Wunder gewirkt hatte. Ein paar Pillen und zwei Injektionen, eine in jeden Arm, hatten sein Fieber gebrochen, seinen Kopf klar gemacht und die Müdigkeit wie hinter eine Mauer geschoben – so daß er immer noch wußte, daß sie da war, sie ihn aber nicht mehr störte. Sein Herz pumpte kräftig, vielleicht etwas zu schnell, und in seinen Ohren sang etwas. Aber davon abgesehen fühlte er sich beinahe normal.
Aber nicht ganz. Da war etwas Unnatürliches an seiner Wachheit, an der Tatsache, daß das Zittern und der Schüttelfrost aufgehört hatten. Er hatte das Gefühl, als bestünde er aus zartem Porzellan, als würde ihn jede ruckartige Bewegung zersplittern lassen. Es war reine Willenskraft, die ihn aufrecht hielt, und jene Fragen schienen aus weiter Ferne zu kommen, von einem Ort, zu dem er überhaupt keine Beziehung hatte. Er antwortete monoton und gleichmäßig und sagte immer wieder dasselbe: „Ich kann Ihnen das nicht erklären, denn Sie würden es nicht begreifen. Sie müßten in Kator gesteckt haben, um das zu begreifen, und das hat keiner von Ihnen getan; ich kann es nicht erklären.“
„Probieren Sie es doch“, sagte Swenson. „Wenn wir es nicht begreifen, ist doch nichts verloren, oder?“
„Es gibt da keine Worte“, sagte Jason. „Man muß es erlebt haben. Wissen Sie, wir sind intelligent, und die Ruml sind das auch.“ Die gleiche Erklärung hatte er schon unzählige Male abgegeben, auch schon, bevor Swenson ins Zimmer gekommen war. „Wir haben beide – beide Rassen meine ich – ein hochentwickeltes Gehirn. Aber in dieser Sache reagieren wir nicht mit unserem Gehirn, die Ruml nicht und wir Menschen nicht. Wir reagieren primitiv …“ Er hielt inne. Es hatte keinen Sinn.
„Weiter“, sagte Swenson grimmig.
„… primitiv“, wiederholte Jason. „Emotionell, instinktiv. Wir reagieren gegen sie wie gegen Fremde, und sie gegen uns ebenso. Und weil die Reaktion auf jener gefühlsmäßigen Ebene stattfindet, sind wir nicht vernünftig. Vernunft, Verstehen, das sind intellektuelle Dinge, Dinge, die wir während des Wachstumsprozesses in einer
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