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Mit den Augen der Fremden

Mit den Augen der Fremden

Titel: Mit den Augen der Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gordon R. Dickson
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gute Chance zu haben, bis zum kritischen Augenblick in Freiheit zu bleiben. Bis hierher hatte er es immerhin geschafft. Vermutlich hatte er noch sechs weitere Stunden Zeit.
    Er gab einen Augenblick der verführerischen Müdigkeit seiner Beine nach, lehnte sich gegen die Eisenstäbe und holte das zusammengefaltete Zeitungsblatt aus der Tasche. Es war so zusammengefaltet, daß man drei Spalten auf dem Titelblatt sehen konnte, sein Bild und einen Teil der Überschrift:
    … FBI GESUCH …
    Darunter ein Bild von ihm in Hemd und Hosen, zum Glück vor drei Jahren aufgenommen. Und dann ertappte er sich dabei, wie er zum dritten Mal den einleitenden Absatz des Artikels las:
    Von Will Uhlmann: Auch heute noch von der Polizei gesucht wird Dr. Jason Barchar, den das FBI im Zusammenhang mit dem mutmaßlichen Verrat von Regierungsgeheimnissen an eine unbekannte fremde Macht verhören möchte.
    Jason riß sich von dem Artikel los. Was hier geschrieben stand, war nicht wichtig. Sein Bild war wichtig. Zum Glück hatte er in den letzten paar Wochen abgenommen, und die Bartstoppeln von mehr als sechsunddreißig Stunden versteckten sein Gesicht. Und jetzt kam es darauf an, daß er sich nicht in seiner gewohnten Art bewegte, handelte oder auch nur hinstellte. Die meisten Menschen verrieten sich durch ihre Gewohnheiten, ihre Haltungen und ihre Handlungen – das hatte er einmal gelesen, irgendwo, es lag so lange zurück, daß er sich nicht mehr erinnern konnte, wo und wann das gewesen war. Irgendwann in jener fernen Vergangenheit, ehe er das erstemal von einer Rasse von Wesen gehört hatte, die man die Ruml nannte.
    „Das bist du nicht“, sagte er sich und starrte das Zeitungsbild an. „Du siehst nicht so aus, du lächelst nicht so, du fühlst dich auch nicht so. Du bist zwanzig Jahre älter als das, du hast nach vorn gebeugte Schultern, du bist ein Tramp … ein Nichts.“
    Er steckte die Zeitung in die Tasche zurück. Zeit, sich wieder zu bewegen, ehe er an den eisernen Zaun gelehnt einschlief. Er stieß sich müde ab und setzte grimmig seine ungeheuer schweren und schmerzenden Beine in Bewegung. „Es ist einfach nicht wahr“, dachte er, „daß man im Stehen einschlafen kann.“ Er hatte das selbst bei der Militärausbildung getan, als man sie eines Tages nach einem Tagesmarsch von zweiunddreißig Meilen nachts geweckt und noch einmal in Marsch gesetzt hatte, dreißig Meilen Nachtmarsch. Im Mondlicht stumpf einen Fuß vor den anderen setzend, hatte er den weißen Tornister des Mannes vor ihm beobachtet, wie er sich dauernd auf und ab bewegte, auf und ab und auf und ab … und dann hatte er sich plötzlich dabei ertappt, wie er stolperte, beinahe in den vom Mondlicht beschienenen Graben neben der Straße fiel, und erst dann bemerkt, daß er die Reihe verlassen hatte. Er hatte sich dann zusammengerissen, und eine Weile andere Dinge angesehen, und dann hatte der Tornister wieder angefangen, seine Blicke einzufangen, auf und ab und auf und ab … und der ganze Vorgang hatte von neuem begonnen.
    „Bloß nicht einschlafen“, dachte er. „Wenn ich einschlafe, werde ich überfahren.“ Seine Hand fuhr in die Tasche mit dem Dexedrin und den anderen Pillen, mit denen er eine Flasche gefüllt hatte, als er sich auf das hier vorbereitet hatte. Aber die letzten beiden Male, da er das Dexedrin eingenommen hatte, schien es nicht gewirkt zu haben. Jetzt wurde ihm nur noch übel davon.
    Es regnete gleichmäßig aus einem Himmel, so finster, daß man am hellichten Tag die Straßenlaternen eingeschaltet hatte. In der Ferne grollte hin und wieder der Donner. Die Beleuchtung der Bürogebäude in der Stadt war eingeschaltet. Die Verkehrsampeln funkelten im Regennebel, wenn er eine Kreuzung erreichte.
    Seine Kehle fühlte sich wie trockenes Sandpapier an, seine Augen waren schwer und trocken, sein Gesicht brannte unter der Hutkrempe und in dem hochgeklappten Kragen seines Regenmantels. Diese letzte Anstrengung nach der Erschöpfung der letzten Wochen war mehr, als er ertragen konnte. Er war krank, hatte Fieber.
    Zuerst war er dankbar für das Fieber gewesen, weil er das Gefühl hatte, daß es ihn aufweckte und ihn wachsamer machte. Aber jetzt hatte der Kreis sich geschlossen, und er haßte es – es zehrte an seinen Kräften.
    Seine Füße stießen gegeneinander, und er wäre beinahe hingefallen. Eine Frau, die in entgegengesetzter Richtung ging, sah ihn im Vorübergehen an mit einem Blick, der ihn einen Augenblick lang zusammengepreßte Lippen und

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