Mit den Augen eines Kindes
schließlich mit Peter Bergmanns Hilfe über die Immobilienabteilung der Kreissparkasse, einen Mietvertrag für geräumige und frei finanzierte drei Zimmer, Küche, Bad, Balkon und eine kleine Diele zu ergattern.
Und als ich eines Nachmittags früher als sonst heimkam, wer saß auf der neuen Couch im Wohnzimmer und füllte den Dreisitzer beinahe komplett aus? Wem klappte das halbe Gesicht nach unten, als ich in der Tür auftauchte? Schweinchen Dick. Er kam ächzend und schnaufend von der Couch in die Höhe und brabbelte etwas von Überraschung. Er hätte ja nicht ahnen können, mit wem die allein erziehende junge Mutter ein Techtelmechtel habe.
Nachdem er es dann wusste, war er zwei Tage später schon wieder da, um Hanne darauf hinzuweisen, dass sie auch für eine frei finanzierte Wohnung einen Mietzuschuss beantragen könne, vorausgesetzt, sie lebe mit ihrem Kind allein, und das sei ja der Fall. Er hatte sich im Einwohnermeldeamt kundig gemacht, dass wir nicht unter derselben Adresse gemeldet waren. Von Datenschutz hielt Willibald Müller gar nichts. Daraufhin nahm er wohl an, ich sei nur mal zu Besuch gekommen.
Bei den Formalitäten für den Mietzuschuss wollte er Hanne gerne behilflich sein. Momentan mochte ich ja noch zum Unterhalt meines Sohnes beitragen. Man könne aber nicht wissen, ob das ein Dauerzustand sei, meinte er. Er wollte nichts Nachteiliges über mich sagen, weiß Gott nicht. Aber Tatsache war nun einmal, dass ich jegliches Verantwortungsgefühl missen ließ und nur noch vom Unterleib gesteuert wurde, wenn eine bestimmte Frau meinen Weg kreuzte. Und da stand ja noch eine Beerdigung aus. Beim alten Koska könne das jetzt jeden Tag so weit sein, meinte Porky. Ich platzte mitten hinein in seinen Vortrag und warf ihn raus.
Meine Schulden waren weitgehend getilgt. So konnte ich Müllers Vorhersage in finanzieller Hinsicht mühelos widerlegen. Ich kam für Miete und Nebenkosten auf und steuerte die Hälfte zum Haushaltsgeld bei, blieb aber offiziell Dauergast, gemeldet unter der Adresse meiner Eltern, wohin auch weiterhin meine Post zugestellt wurde.
Hanne brauchte das Gefühl, Herrin im eigenen Reich zu sein und im Fall einer Trennung zu bleiben. Mit anderen Worten, mir im Notfall jederzeit den Koffer vor die Tür stellen zu können. Aber wenn der Notfall aus Florida oder einer anderen Ecke der Welt einfliegen sollte, mit Oliver im Arm und Hanne im Rücken hielt ich mich für stark genug, allen Anfechtungen zu widerstehen.
Fünf Jahre lang war ich rundum glücklich und zufrieden mit meinem kleinen Wunder und dieser jungen Frau. Hanne war ein Phänomen, vierteilte sich zwischen Arztpraxis, Haushalt, Kind und Partnerschaft, pflegte daneben soziale Kontakte, Freundschaften und familiäre Beziehungen, zeigte nie Ermüdungserscheinungen, ließ sich niemals von irgendetwas aus der Ruhe oder dem inneren Gleichgewicht bringen. Dass sie einmal laut geworden oder aus irgendeinem Grund beleidigt gewesen wäre, unvorstellbar. Im größten Tohuwabohu behielt sie einen klaren Kopf. Wahrscheinlich hätte sie beim Weltuntergang zuerst noch die Police der Hausratversicherung herausgesucht und dann erst die Wohnung verlassen. Sie hatte ihr Leben fest im Griff und meins auch.
Alle Werte im grünen Bereich. Mag sein, dass ich manchmal an Maren dachte, mich flüchtig fragte, in welcher Ecke der Welt sie sich herumtreiben mochte und mit wem. Aber eigentlich wollte ich es gar nicht wissen. Ich hatte mein verflucht normales Leben mit den kleinen, alltäglichen Freuden oder Widrigkeiten. Maren hätte vermutlich die Nase gerümpft, hätte sie mich einmal eine vollgeschissene Windel wechseln, mit Sohn und Einkaufsliste bei Aldi gesehen oder mit Mutter darüber diskutieren hören, ob er schon alt genug für Spinatbrei war.
Hanne hatte nach der Geburt nur eine kurze berufliche Pause eingelegt, sechs Wochen. Sie war nicht entbehrlich in der Arztpraxis, wollte auch um keinen Preis ihre finanzielle Unabhängigkeit aufgeben. Also teilten wir uns den Haushalt und unser Kind mit Oma und Opa. Meine Mutter stand mit ausgestreckten Händen bereit, ihren Enkel in Empfang zu nehmen und zu betüteln. Bei den Kindern meiner Brüder war ihr das höchstens mal für einen Nachmittag vergönnt.
Hanne arbeitete nur noch halbtags, die eine Woche am Vormittag, die andere Woche nachmittags. Sie hatte mit ihrem Chef Sonderrechte ausgehandelt, um flexibel zu sein. Dafür durfte er sie im Notfall jederzeit anrufen, ob nun eine Kollegin ausfiel
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