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Mit den Augen eines Kindes

Mit den Augen eines Kindes

Titel: Mit den Augen eines Kindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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oder plötzlich das Wartezimmer so voll wurde, dass man Unterstützung brauchte.
    Da meine Eltern nur drei Straßen von unserer neuen Wohnung entfernt lebten, war es kein Problem, Oliver rasch hinzubringen. Im Gegenzug musste Hanne nicht schon morgens um sieben in der Praxis antreten, um Blutproben zu nehmen, und hätte auch mal alles stehen und liegen lassen dürfen, wenn plötzlich etwas mit Oliver gewesen wäre.
    In den ersten vier Jahren trat dieser Fall nicht ein. Oma hatte schließlich bei ihren drei Jungs genügend Erfahrungen mit Masern, Dreitagefieber, Brechdurchfällen und anderen Unpässlichkeiten gesammelt, um damit alleine fertig zu werden. Erst als Olli vier wurde und in den Kindergarten ging, fühlte meine Mutter sich häufiger überfordert. Nicht, dass er sich dort ständig mit irgendetwas angesteckt hätte, es war eine reine Zeitfrage.
    Der Kindergarten öffnete seine Pforten um acht Uhr und schloss sie um zwölf. Morgens war das kein Problem, Hanne brachte ihn rasch hin und fuhr zur Arbeit. Ihn mittags abzuholen, schaffte sie nur in der Woche, in der sie nachmittags arbeitete. In der Praxis herrschte meist bis um eins reger Betrieb, manchmal wurde es noch später.
    Und meine Mutter, der es bis dahin überhaupt nichts ausgemacht hatte, Olli von morgens bis abends um sich zu haben – wie oft hatte Hanne gehört: «Ach, lass ihn doch noch hier, ich wollte gleich Plätzchen backen und bringe ihn dann heute Abend» –, hatte eine Menge einzuwenden gegen den Zwang, um zehn vor zwölf losgehen zu müssen, um den Enkel beim Kindergarten in Empfang zu nehmen. Da musste man ja unentwegt auf die Uhr gucken, konnte erst um halb eins anfangen zu kochen, saß dann frühestens um halb zwei beim Mittagessen. Da geriet der streng reglementierte Tagesablauf eines Rentnerpaares völlig durcheinander. Natürlich hätte auch Opa um zehn vor zwölf gehen können, damit das Essen pünktlich auf den Tisch kam. Aber kleine Kinder abzuholen, war keine Männersache.
    Wie nicht anders zu erwarten, fand Hanne auch für dieses Problem schnell eine Lösung. Die nicht berufstätige Ella Godberg, deren Sohn Sven sich nachmittags entsetzlich langweilte, wenn er keine gleichaltrige Gesellschaft hatte. Das klingt vielleicht nebensächlich, ist es aber weiß Gott nicht.
    Von dem Moment an, als die beiden Knirpse sich zum ersten Mal im Kindergarten gegenüberstanden, beide noch ein bisschen scheu und vorsichtig die neue Lage sondierend, waren Oliver und Sven Godberg im Prinzip unzertrennlich. Manchmal war Sven bei uns, doch das war eher die Ausnahme.
    Wie viele Nachmittage insgesamt mein Sohn bei den Godbergs verbracht hat, weiß ich beim besten Willen nicht. Er war nur noch bei Oma und Opa, wenn Ella mit ihrem Sohn zu Verwandten fuhr. Ihr Bruder lebte in der Nähe und wurde bloß stundenweise besucht. Aber Ellas Schwester wohnte in Frankfurt, da blieben sie meist einige Tage. Zur Entschädigung durfte Oliver ein paar Mal das komplette Wochenende bei Godbergs verbringen, bei Sven schlafen und mit Sven essen, was Svens Appetit ungeheuer förderte.
    Ich kannte Godbergs Haus, die ruhige, zum Spielen ideale Straße, den großen Garten mit dem nur kniehohen Zaun – der für tollwütige Bernhardiner wirklich kein Hindernis dargestellt hätte –, den Papa von Sven und Tante Ella jedoch nur aus Olivers Erzählungen und dem, was Hanne hin und wieder berichtete. Wenn ich auch in diesem Punkt hart mit mir ins Gericht ginge, müsste ich jetzt sagen: «Ich habe mich nicht rechtzeitig darum gekümmert, wo mein Sohn spielte.» Aber welcher Vater nimmt eine junge Familie unter die Lupe, nur weil sein Kind sich dort gerne aufhält? Ganz normale Leute, dachte ich monatelang.
    Natürlich ging nicht immer alles glatt, wenn Oliver bei Sven war. Dafür hatte unser Kleiner mit Opa einfach schon zu viele Filme gesehen. Abgesehen von Cujo, der wohl nur erscheinen musste, weil Olli sich am Gartenzaun ein Loch in die Hose gerissen und das Knie aufgeschürft hatte, gab es mal Kirschsaftflecken in einem teuren Berberteppich, weil Olli seinem Freund zeigen wollte, welche Spuren ein erschossener Mann in einem Wohnzimmer hinterließ. Bei der Demonstration der Fluggeschwindigkeit eines Ufos ging auch mal ein Porzellanfigürchen zu Bruch, das sehr teuer gewesen war. Viel Aufheben machte Ella Godberg um solche Debakel nicht. Die Kirschsaftflecken entfernte sie mit Teppichreiniger. Für das Figürchen kam Hannes Haftpflicht auf.
    Wenn es mal Streit gab, der sich nicht

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