Mit den Augen eines Kindes
durch vermittelnde Worte beilegen ließ, griff Ella zum Telefon, damit Hanne unser Kind wieder abholte und notfalls bis zum Abend zu Opa und Oma brachte, weil in den nächsten Stunden nicht mit einer Aussöhnung der zerstrittenen Parteien zu rechnen war. Sie waren beide kleine Dickköpfe, wie das eben so ist bei kleinen Jungs. Ich hatte mich als Kind auch manchmal mit Peter Bergmann um Sammelbildchen, Mickymaushefte oder wegen Maren gezankt.
März bis Mitte April 2003
Anfang März wurde ein Packen Briefe verschickt. Einladungen zur zwanzigjährigen Abiturfeier, einem gemütlichen Abend im Kreise ehemaliger Mitschüler, Lehrer wollte man nicht dabei haben – mich auch nicht, wenn es nur nach einem der beiden Initiatoren gegangen wäre. Dieser eine war nicht Peter Bergmann, den ich seit ewigen Zeiten nicht mehr gesehen hatte, obwohl er die Sparkassenfiliale leitete, bei der mein Girokonto geführt wurde, aber Kontoauszüge und Bargeld holte ich meist vom Automaten. Der andere, der mich fernhalten wollte, war Willibald Müller. Er war mir auch nicht mehr unter die Augen gekommen, seit ich ihn nach Ollis Geburt aus unserer Wohnung geworfen hatte.
Gemeinsam hatten Peter und Porky das Treffen für den 24. Mai geplant und alles Notwendige in die Wege geleitet. Den Saal einer Gaststätte für den Abend gemietet, ein Menü zusammengestellt, damit die Küche nicht mit Sonderwünschen überfordert wurde. Sie hatten eine Menge Zeit investiert, um alle ausfindig zu machen, gelungen war ihnen das nicht ganz. Nach meiner Anschrift hatten sie nicht suchen müssen, ich war immer noch in der Wohnung meiner Eltern gemeldet.
Der große Rest unseres Abiturjahrgangs war in alle Winde zerstreut. Einige Namen wurden unter dem Begriff «verschollen» geführt. Da baten sie um Hinweise. Wer Auskunft über den Verbleib der oder des Betreffenden geben könne, möge das bitte umgehend tun.
Aber das las ich erst später, deshalb war der März für uns noch recht friedlich, abgesehen vom «Rockerüberfall» auf den Kindergarten, den ich eingangs erwähnte. Wir feierten Ollis Geburtstag. Er bekam ein neues Fahrrad ohne Stützräder. Und eine knappe Woche später machte er Bekanntschaft mit den Hell’s Angels, allerdings nur im Fernseher. Das war schon Ende März, ein Freitag.
Ella Godberg besuchte an dem Nachmittag ihren Bruder. Oma machte Einkäufe, und Opa nutzte die Gelegenheit, mal rasch ins aktuelle Programm zu schauen. Montags tauchten die Hell’s Angels dann im Kindergarten auf, und Oliver wurde als Haupttäter genannt. Hanne hielt ihm eine tüchtige Standpauke, damit betrachteten wir die Sache als erledigt.
Die erste Aprilwoche war aufregender. Dienstags gab es bei Godbergs wieder mal eine Kabbelei unter besten Freunden. Sie hatten ja nur ein Laserschwert, da konnte auch nur einer Luke Skywalker sein. Sven hatte nicht so viel Durchsetzungsvermögen wie unser Rabauke, war aber schneller beleidigt. Nun ja, wer wollte auch einen halben Nachmittag als Sandwurm durch den Garten kriechen und sich mit einem Plastikschwert attackieren lassen? Der Gedanke an einen Rollentausch war Olli nicht gekommen. Und er vertrat noch abends die Überzeugung, im Krieg der Sterne gäbe es sehr wohl Sandwürmer. Hanne führte den Wüstenplanet als Heimat der riesigen Kriechtiere an. Keine Ahnung, wer Recht hatte.
Aber nicht nur aus diesem Grund durfte Olli mittwochs nicht bei Sven spielen. Ella Godberg wollte erneut ihren Bruder besuchen und hätte das eigentlich gerne ohne den Sohn getan. Es gab wohl etwas zu besprechen, was für kleine Ohren nicht geeignet war.
Nur konnte Hanne die Kinderbetreuung nicht übernehmen. Sie musste am Nachmittag bei einer ambulanten Operation assistieren. Dass Ärzte am Mittwochnachmittag immer frei haben, ist ein Ammenmärchen. In manchen Praxen mag das so sein, bei Hannes Chef nicht. Es war keine Sprechstunde, stattdessen wurden kleinere Eingriffe durchgeführt.
Olli sollte den Nachmittag bei Oma und Opa verbringen. Bevor ich ihn am Dienstagabend zu Bett brachte, nahm Hanne sich eine halbe Stunde Zeit, um ihn auf andere Gedanken zu bringen als den an Opas Videosammlung. Opa hatte doch auch eine tolle Eisenbahn und Oma einen Nymphensittich, der richtig sprechen konnte und sich gerne mit Oliver unterhielt. Abgesehen davon konnte Oma tolle Plätzchen backen und sehr gut vorlesen.
Das wusste Olli, aber Oma las immer nur Geschichten für kleine Kinder, die waren nicht nach seinem Geschmack. Und wenn Opa den Fernseher
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