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Mit den Augen eines Kindes

Mit den Augen eines Kindes

Titel: Mit den Augen eines Kindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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und Ella Godberg nun wirklich nichts zu tun. Und mein Vater kam auch nicht auf den Gedanken, Ollis Schilderungen mit Hanne oder mir zu besprechen.
    Damit Opas Großmut nicht zur Gewohnheit wurde, musste er mittwochs mit Oma nach Köln fahren, weil Oma in Ruhe – sprich ohne einen Fünfjährigen, der alles gebrauchen konnte und für den man nicht Augen genug hatte –, ein paar Kleinigkeiten einkaufen wollte. Hanne ließ notgedrungen ihren Boss und die letzten Patienten im Stich, machte sich um Viertel vor zwölf auf den Weg und gedachte, den Nachmittag mit Hausarbeit zu verbringen.
    Aber wenn kleine Jungs mit Gewissensbissen – oder Groll, weil Mama nicht glauben wollte, was wirklich passiert war –, nicht raus dürfen, kann das ganz schön stressig werden. Dass es regnete, hätte Olli nicht weiter gestört, er war ja nicht aus Zucker. Dass wir an einer verkehrsreichen Straße wohnten, trug er auch mit Gelassenheit. Er konnte doch aufpassen, wollte nur ein bisschen mit seinem geflickten Rad auf dem Bürgersteig hin und her fahren, um festzustellen, ob Papa es auch ordentlich repariert hatte. Er wollte nicht weit weg, ehrlich nicht. Und ganz bestimmt nicht runter zu Sven, um nachzuschauen, ob Tante Ella noch im Krankenhaus oder schon wieder da war.
    Um sich wenigstens anderthalb Stunden Ruhe für einen Korb Bügelwäsche zu verschaffen, kramte dann Hanne ausnahmsweise mal in den Videos, die sich im Laufe der Zeit in unserem Wohnzimmerschrank aufgestapelt hatten. Inzwischen brannte mein älterer Bruder CDs, die konnten wir nicht abspielen, weil uns das entsprechende Gerät fehlte. Aber Videos hatten auch wir in Massen. Es waren ein paar Zeichentrickfilme dabei, die Hanne für kindgerechter hielt als weiße Haie, lichterloh brennende Hochhäuser oder die Jagd auf Roter Oktober, die Olli sich gerne nochmal in voller Länge angeschaut hätte, wegen der jungen Russen, die so schön singen konnten und sich einbildeten, ihr Kapitän Ramius hätte die Amerikaner aus dem Wasser gescheucht. Das war aber die «Dallas» gewesen, deren Ersatzkapitän rief: «Flieg, meine Dicke, flieg.»
    Olli kannte den Streifen auswendig, konnte etliche Dialoge wortgetreu wiedergeben. «Turbulenzen, kalte Luft fällt nach unten, warme Luft steigt nach oben, Turbulenzen.» Die Sätze über das gekaufte Brüderchen, die dicke, brockige Kotze und Pavarotti, der aber in Wirklichkeit Paganini gewesen war. «Geben Sie mir ein Ping, Wassili, und bitte nur ein einziges.»
    Und ich frage mich immer noch, ob etwas anders gekommen wäre, hätte Hanne ihn das Spektakel noch einmal genießen lassen. Aber nein, das war doch kein Film für Kinder. Sie stellte ihn vor die Wahl: Das letzte Einhorn, Dumbo, der fliegende Elefant oder dieser Streifen, in dem es von Dinosauriern nur so wimmelte. In einem Land vor unserer Zeit. Olli entschied sich für die Dinos.
    Nach Jurassic Park und seinen Nachfolgern riss man mit einem Zeichentrickfilm bestimmt nicht mehr viele Leute vom Hocker. Aber einen nörgelnden Fünfjährigen, der Benjamin Blümchen, Dumbo und Das letzte Einhorn gleichermaßen doof fand, der gar keine Lust hatte, etwas zu malen oder mit Legosteinen ein Ufo zu bauen, bis Mama alles gebügelt hatte, und dann ein paar Runden Memory mit ihr zu spielen, konnte man damit einen ganzen Nachmittag lang auf den Wohnzimmerteppich kleben. So viel Faszination hatte Hanne gar nicht erwartet.
    Es blieb – abgesehen vom Fernsehton – mucksmäuschenstill im Wohnzimmer. Olli bekam weder Hunger auf ein Eis noch Durst auf Apfelsaft oder Kakao. Hanne bügelte nicht bloß die Wäsche, sie schaffte es auch, ihre komplette Gläsersammlung von Hand zu spülen, die Vitrine auszuwaschen, die Betten frisch zu beziehen und das Abendessen vorzubereiten. Zweimal schaute Olli sich den Film an und hätte ihn sich wohl noch ein drittes Mal reingezogen, wäre ich nicht um halb sechs nach Hause gekommen.
    Er war so begeistert, dass er den ganzen Abend von nichts anderem mehr sprach. Begeistert ist nicht der richtige Ausdruck. Scharfzahn hatte etwas geschafft, was vorher keinem Bildschirmhelden oder Bösewicht gelungen war: meinen Sohn in seinen Grundfesten erschüttert. Tyrannosaurus Rex, die lateinische Artbezeichnung hatte Hanne ihm genannt, sie gefiel ihm gut, nahm aber beim Erzählen zu viel Zeit in Anspruch, sodass er der Einfachheit halber nur Rex sagte. Und da er nicht mehr über Rocker sprechen durfte, machte er einen Dinosaurier zu seinem Intimfeind und verantwortlich für

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