Mit den Augen eines Kindes
weitere Übel
– dachte ich jedenfalls.
An dem Mittwochabend hörte ich nur, dass der Rex Langhälse, Breitmäuler und Dreihörner gejagt und die Mama von Littlefoot, dem Langhalsbaby, gefressen hatte. Als ich ihn zu Bett brachte, wollte er wissen, ob die Rexe wirklich alle tot seien, wie Mama behauptete.
«Ja, die sind alle ausgestorben», sagte ich.
«Warum?»
«Das weiß man nicht so genau», sagte ich. «Schuld
daran könnte ein Meteoriteneinschlag gewesen sein.» «Was ist das?»
«Meteoriten sind Steine, die vom Himmel fallen», sagte
ich.
«Aber die Rexe waren groß, die sind bestimmt nicht alle
getroffen worden», meinte Olli. «Vielleicht sind doch
noch welche da, und die verstecken sich gut, damit keiner sie sieht.»
Schon donnerstags entdeckte er den ersten Rex im Neffelbach. Er war an dem Nachmittag wieder bei Oma und Opa.
Mein älterer Bruder hatte ein gutes Wort für Hanne eingelegt. Nach dem Mittagessen machte Opa mit Olli eine Radtour. Und dabei sah Olli das Untier, nur ganz kurz, es ging sofort wieder in Deckung.
Freitags sah Olli den zweiten Rex auf dem Parkplatz beim Getränkemarkt. Da schnappte die Bestie sich ein kleines Kind und fraß es mit einem Bissen auf. Mama lud gerade einen Kasten Apfelsaft in ihr Auto und sah nichts von dem scheußlichen Verbrechen. Ehe Mama sich nämlich umdrehen konnte, war der Rex schon wieder weg. Die Rexe waren ja unheimlich schnell.
Wie nicht anders zu erwarten, erschien dann montags auch ein Rex im Kindergarten, biss Frau Ruhland in den Arm und vergrub den mitgebrachten Apfel von Mandy, einem kleinen Mädchen, das Olli als Heulboje bezeichnete, in der Sandkiste. Oma musste sich mittags anhören, dass unser Bengel wieder einmal tüchtig über die Stränge geschlagen hatte. Hanne hörte es zwei Stunden später von meiner Mutter und verlangte abends von mir, ein Machtwort zu sprechen.
Aber ich hatte das Video nicht für ihn eingelegt und keine Lust, den Buhmann zu spielen. Wir lebten doch nicht mehr im Mittelalter, wo Mutter die Jungs so lange ins Kinderzimmer schickte, bis Vater von der Arbeit kam und sie verprügeln konnte.
Wir führten eine unserer üblichen Auseinandersetzungen.
«Warum bist du nicht mit ihm zum Spielplatz gegangen?»
«Witzig», sagte Hanne.
Der Punkt ging an sie, nicht nur wegen dem Regen. In der näheren Umgebung unserer Wohnung gab es nur einen Spielplatz, der für Kinder nicht geeignet war. Nachmittags versammelten sich dort Jugendliche, die von kleinen Jungs nicht gestört werden mochten und sich von jungen Müttern nichts sagen ließen. Hundebesitzer fanden sich dort auch gerne ein und gönnten ihren vierbeinigen Freunden etwas Auslauf in der Sandkiste. Da wurde das schnell zu einer ekelhaften Angelegenheit.
«Du hättest ja irgendwas mit ihm spielen können.»
«Was denn, wenn er zu nichts Lust hat?»
«Mein Gott, da lässt man sich etwas einfallen. Man setzt ein Kind nicht vor den Fernseher, damit man Ruhe hat. Über meinen Vater regst du dich auf, und dann machst du es genauso. Du weißt doch, wie er ist.»
«Jetzt redest du schon wie deine Mutter. Wir können ja mal eine Weile tauschen. Ich mache Vollzeit und du arbeitest halbtags. Dann siehst du aber mal, wie du das hier auf die Reihe bringst. Da sitzt er garantiert häufiger vor der Flimmerkiste. Ich verlange doch nicht, dass du ihm den Kopf abreißt. Du sollst ihm nur klar machen, dass er nicht beißen darf – und nicht lügen. Ich hasse es, wenn ich belogen werde. Nichts gegen eine lebhafte Phantasie. Aber wenn er etwas ausgefressen hat, will ich die Wahrheit von ihm hören.»
Olli hörte mit großen Augen zu. Ihm war sehr wohl bewusst, dass Mama und Papa sich zankten, weil er etwas getan hatte, was man nicht tun durfte. Wir zankten uns eigentlich immer nur, wenn es um Erziehungsfragen ging. Hanne meinte oft, ich sei viel zu nachsichtig und fühle mich auch noch geschmeichelt, wenn es innerhalb der Familie hieß, unser Knirps gleiche mir nicht nur wie ein Ei dem anderen, er trete auch in puncto Temperament und Durchsetzungsvermögen in meine Fußstapfen.
Um den häuslichen Frieden wieder herzustellen, gestand er, wie es tatsächlich gewesen war. Aber etwas Böses hatte er wirklich nicht getan. Er hatte im Kindergarten nur allen zeigen wollen, was so ein Rex anstellen könnte, wenn mal einer käme. Um Frau Ruhland zu versöhnen, malte er ein wunderschönes Blumenbild für sie. Die kleine Heulboje Mandy musste er mitsamt ihrer Mutter auf Hannes Anweisungen zu einem
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