Mit den Augen eines Kindes
Inhalt. Ein halbes Dutzend Ringe und Armbänder, etliche Halsketten, darunter ein Collier, silberfarbenes Metall und grüne Steine, sah aus wie Platin und Smaragde. Und all den winzigen Stempeln nach zu urteilen, war der Schmuck echt. Jochen wunderte sich, warum die Sachen nicht im Wandsafe lagen, und spekulierte, welche Kostbarkeiten darin verwahrt werden mochten.
Ich ließ den Erkennungsdienst anrücken, den Sohlenabdruck draußen sichern, Fingerabdrücke vom zerbrochenen Fenster und von sämtlichen Türklinken nehmen, die blutverschmierte Glasscherbe eintüten und etliche Filme mit Wertgegenständen belichten. Vor allem von den gerahmten Kunstwerken, den Pelzen und Meißner Figürchen versprach ich mir die rasche Feststellung der eigentlichen Besitzer.
Jochen unterhielt sich derweil mit der Putzfrau, doch sie konnte oder wollte ihm nicht viel sagen. Sie sei im Hause Godberg nur aushilfsweise tätig, erklärte sie, weil Ella wegen Armbruch ausgefallen und auch in den nächsten Wochen noch nicht wieder voll einsatzfähig wäre. Für eine Aushilfe war sie jedoch sehr vertraut mit der Familie, nannte auch den Hausherrn nur mit Vornamen. Am Freitag sei Ella aus der Klinik entlassen worden. Das Wochenende habe sie noch bei ihrer Schwester in Frankfurt verbringen wollen, weil sie sonst alleine mit dem Kind gewesen wäre. Alex habe arbeiten müssen, und Ella könne sich alleine noch nicht mal die Haare waschen.
«Bisher war Alex ja immer daheim, wenn ich sauber gemacht habe», sagte sie. «Erst am Freitag hat er mir einen Hausschlüssel gegeben, weil er Ella heute nach Hause holen wollte. Sie kämen wahrscheinlich nachmittags an, meinte er. Ich sollte noch ein paar Tortenstücke besorgen, um Ellas Heimkehr zu feiern.»
Ob Alex sehr früh an diesem Morgen oder am vergangenen Abend nach Frankfurt gefahren war, wusste sie nicht, tippte jedoch auf den Sonntagabend. Sonst hätte er ja wohl etwas von dem Einbruch mitbekommen. Ob etwas fehlte? Sie zuckte mit den Achseln. Oben sah alles aus wie gewohnt. Den Kellerraum hatte sie an diesem Morgen angeblich zum ersten Mal betreten, und das auch nur, weil die Tür offen gewesen sei. Die sei sonst immer abgeschlossen, und den Schlüssel verwahre Alex im Schreibtisch. Mit anderen Worten, sie hatte gewusst, wo der Schlüssel war.
Die Kerpener Kollegen hatten in der Zwischenzeit die Nachbarn befragt, wobei sie sich auf das ältere Ehepaar von gegenüber beschränken mussten. Die Leute aus den ersten vier Häusern schienen alle berufstätig. Von dem Einbruch hatte das ältere Paar, Kremer hießen sie, nichts bemerkt. In der vergangenen Woche jedoch war ihnen zweimal ein Jugendlicher aufgefallen. Jedenfalls schlossen sie aus Körpergröße und Statur, es sei ein Halbwüchsiger gewesen, der in der Straße nichts zu suchen gehabt und offenkundiges Interesse an Godbergs Haus gezeigt hätte. Er sei auch hinten herum geschlendert und habe sich alles genau angeschaut. Der Beschreibung nach ein südländischer Typ, höchstens eins sechzig groß, sehr zierlich, kurze, dunkle Haare, bekleidet mit Lederjacke, speckiger Jeanshose und hochhackigen Stiefeln. Was zu dem Abdruck im frisch geharkten Blumenbeet passte.
Wir überließen es den Kollegen, ein Polizeisiegel anzubringen, dafür zu sorgen, dass Alex Godberg nach seiner Heimkehr nicht den Keller leer räumte, und ihm auszurichten, er möge sich bitte umgehend im KK 41 in Hürth melden.
«Was hältst du davon?», fragte Jochen, als wir zurückfuhren. Das musste ich ihm nicht erklären. Wir waren einer Meinung. So wie es aussah, war Godbergs Keller voll gestopft mit Hehlerware. Und mein Sohn ging seit fast einem Jahr bei ihm ein und aus. Jochen fand es köstlich. Ich nicht.
Die Fotos der abgelichteten Wertgegenstände wurden umgehend entwickelt und von Andreas Nießen in sein Arbeitsgerät eingespeist. Unser Computerfahnder mailte sie sofort an die Kriminalhauptstelle Köln und – falls die Kölner Kollegen daran nicht gedacht hätten –, sicherheitshalber auch persönlich ans LKA nach Düsseldorf mit der Bitte um Auskunft, ob und wo die betreffenden Sachen als gestohlen gemeldet waren. Seiner Ansicht nach hatten wir einen Hintermann kalt erwischt, einen ganz großen Fisch an der Angel. Mit so einem Fang hatte er bei uns gar nicht gerechnet.
Alex Godberg meldete sich schon am frühen Nachmittag in Hürth – Frau und Sohn hatte er notgedrungen bei einem Café abgesetzt, weil die Kollegen auch die hilflose Ella und den kleinen Sven nicht ins Haus
Weitere Kostenlose Bücher