Mit den Augen eines Kindes
Meinung nach etwas Salziges gegen den Kater brauchte. Nur dass gegen meinen Kater keine salzige Brühe half.
Den Rest des Tages verbrachte sie mit Esthers Buch in einem Sessel. Ich saß mit einer Flasche Mineralwasser, Olli und seinem Buch auf der Couch. Und selbst das erinnerte an die Nacht, weil Maren ihren Mann Rex genannt hatte. Olli drückte seinen Kopf unter meine Achsel und beide Knie in meine Seite. Ich las vor bis zu der Stelle, wo Scharfzahn bei einem fürchterlichen Erdbeben in eine Schlucht stürzte.
«Aber der Rex ist nicht tot, Papa. Er kommt wieder und will Littlefoot und Cera fressen. Und alle anderen auch. Der Rex ist viel schlimmer als die Rocker. Was meinst du, wie das blutet, wenn der beißt? Dann ist aber der ganze Arm ab.»
Über den abgebissenen Arm kam er im Eifer des Gefechts noch einmal auf Ella Godbergs gebrochenen Arm und den tatsächlichen Ablauf des Geschehens. Hanne ließ ein aufforderndes «Konrad» hören. Aber wie hätte ich ihm den Mund verbieten können, nachdem ich ihn am vergangenen Vormittag dazu ermuntert hatte, den vermeintlichen Rockerüberfall noch einmal ausführlich zu schildern, und auch überzeugt war, dass er – zumindest aus seiner Sicht – die Wahrheit sagte?
Doch kaum hatte ich eine Andeutung in die Richtung gemacht, erklärte Hanne: «Ja, wenn das so ist, kann er morgen nicht bei Sven spielen.»
«Aber ich muss ihm doch den Rex zeigen», protestierte Olli.
«Und sein Papa hat gesagt, ich darf morgen kommen.»
«Daraus wird leider nichts.» Hanne zeigte sich gnadenlos.
«Ich kann dich doch nicht irgendwo spielen lassen, wo Rocker ein- und ausgehen und Frauen die Arme brechen. Das ist zu gefährlich.»
«Nein», jammerte Olli. «Die kommen bestimmt nicht wieder. Die wollten Tante Ella doch gar nichts tun, frag Papa und Opa.»
Er schaute mich an, wartete auf eine Bestätigung und wohl auch darauf, dass ich ein gutes Wort für ihn einlegte.
«Das war eine familiäre Auseinandersetzung», sagte ich und kam mir so mies vor. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. «Alex hat mit außerhäuslichen Aktivitäten zwischen fünf und sieben Ellas Bruder gegen sich aufgebracht.»
Hanne runzelte kurz die Stirn, schüttelte dann energisch den Kopf. «Blödsinn! Alex käme nicht im Traum auf die Idee, sich etwas außer Haus zu suchen. Sie sind zusammen, seit sie fünfzehn waren. Er betet Ella an. Meinst du, er würde sie wie einen Christbaum behängen, wenn er nebenher etwas laufen hätte?»
«Vielleicht deshalb. Wiedergutmachung nennt man das», sagte ich und wünschte mir, ich hätte die Nacht gut machen können.
«Woher willst du das überhaupt wissen?», fragte Hanne.
«Von Jochen», sagte ich. «So haben sie es ihm erklärt.»
Hanne schüttelte erneut den Kopf, misstrauisch und verständnislos diesmal. «Und wieso hat Jochen danach gefragt? Schnüffelt ihr nach einem Einbruch immer in den persönlichen Verhältnissen der Betroffenen?»
«Es gab eine Aussage von den Nachbarn, das erst ein halbes Jahr alte Auto und einen Hammer betreffend. Der Sache musste Jochen nachgehen.»
Nun gab Hanne einen ungläubig klingenden Laut von sich. Olli konnte unserer Unterhaltung nicht mehr folgen, sah nur ein, dass er sich in die Klemme gebracht hatte, und versuchte, seinen Montagnachmittag mit einem Kompromiss zu retten.
«Vielleicht hab ich meine Banane im Wohnzimmer liegen lassen.»
«Das ändert aber nichts daran, dass Tante Ella geschubst wurde, oder?», fragte Hanne ihn.
Er zog eine Schnute, heftete die Augen wieder auf mich. Sein Blick ging mir durch Mark und Bein. Nun hilf mir doch, Papa. Ich konnte ihm nicht helfen. Es war Hannes Entscheidung. Ich zog ihn nur ein wenig fester an mich.
Ihn hergeben zu müssen – darüber hatte ich noch nie ernsthaft nachgedacht. Wozu auch? Es war doch bisher alles in Ordnung gewesen. Nun dröhnten mir meine eigenen Worte aus der vergangenen Nacht in den Ohren. Nur noch ein Zahlvater, der Fotos geschickt bekam. Wenn Hanne mich hinauswarf, ich hätte nicht dasselbe Recht wie der Vater von Tobias, der seinen Kleinen immerhin noch sonntags in den Zoo fahren oder Eis mit ihm essen durfte. Ich hätte zu gehen und dürfte keine Ansprüche stellen.
Wir gingen früh zu Bett, Hanne mit merklichem Zögern. Sie war unsicher und wachsam. Vielleicht kannte sie mich einfach zu gut, entschieden besser jedenfalls als meine Exfrau. Karola hatte monatelang jede Geschichte geglaubt, die ich oder Jochen ihr aufgetischt hatte. Nur hatte ich Hanne bisher
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