Mit den Augen eines Kindes
hätte.
«Sie wollte nicht», antwortete ich wahrheitsgemäß. «Siehst du den Kleinen wenigstens mal?», fragte sie.
«Oder will sie das auch nicht?»
«Ich sehe ihn sogar regelmäßig», sagte ich, zog das neueste Foto von Olli aus der Brieftasche und fügte hinzu: «Sie schickt mir jeden Monat eins, dafür zahle ich mehr als den üblichen Satz.»
Das musste so klingen, als würde ich meinen Sohn nur von Fotos kennen. Maren betrachtete ihn mit einem Anflug von Rührung und stellte fest: «Er sieht aus wie du.»
«Kannst du doch gar nicht beurteilen», lallte Peter. «Als Konni so alt war, wusste er noch nicht, dass es zwei Sorten Menschen gibt. Da war er noch ein echt guter Freund.» Er wandte sich mir zu. «Weißt du noch, wir beide und Mickymaus. Und du hattest ein Bildchen von Uwe Seeler, das gab es nirgendwo mehr. Und du hast es mir geschenkt, hab ich dir hoch angerechnet.»
«Das war zwei Jahre später», sagte ich.
«Ist doch egal», meinte Peter. «Wir hatten jedenfalls mit Weibern noch nichts am Hut. Die kannst du alle in einen Sack stecken, wenn du draufhaust, triffst du immer die Richtige. Ich hab auch so einen Drachen zu Hause. Was meinst du, was die mir erzählt, wenn ich gleich zur Tür reinkomme?»
Als das nächste Grüppchen sich verabschiedete, warf Maren einen Blick auf ihre Armbanduhr und meinte: «Für mich wird es auch Zeit. Mein Mann will morgen früh zurück nach Hamburg. Da sollte ich zusehen, dass ich noch etwas Schlaf bekomme.»
Sie schüttelte reihum die übrig gebliebenen Hände, verlor die üblichen Floskeln. War ein netter Abend, sollten wir in drei, vier oder fünf Jahren wiederholen. Mir empfahl sie zum Abschied: «Mach’s gut, Konni.»
«Mach’s besser», sagte ich.
Als sie zur Tür ging, fühlte ich mich ganz leicht und frei.
Der Soldat nach einer gewonnenen Schlacht. Und er saß noch aufrecht, war unverwundet, konnte heimgehen und seine Lieben in die Arme schließen. Ich blieb noch eine Weile, um nicht doch noch Anlass für Gerede zu bieten und Peter zu versöhnen. Aber er war nicht mehr aufnahmefähig, verstand nur, dass Hanne drei Straßen von meinen Eltern entfernt lebte und mit meiner Mutter sehr gut auskam.
«Weiber», lallte er, «die machen immer gemeinsame Sache, tun meine auch. Ich trink mal ein Bier, eins, verstehst du? Dann hab ich drei von den Biestern im Nacken. Die gönnen mir nicht die kleinste Freude. Da kannst du nichts machen.»
Dann erzählte er mir das Drama seiner Ehe. Frau, Mutter und Schwiegermutter steckten alle unter einer Decke und machten ihm das Leben sauer. Zu allem Überfluss hatte er auch noch zwei Töchter. Noch waren sie klein, aber nicht mehr lange, dann wären es fünf, die ihm das letzte Hemd auszögen.
Als ich den Saal verließ, war es zwei Uhr vorbei und ich überzeugt, Maren läge längst auf, unter oder neben ihrem Mann. Es regnete, ich ging zügig zur Kreuzung bei der Kirche, wechselte am Fußgängerüberweg auf die andere Straßenseite und dachte unwillkürlich an den Unfall, den Olli hier verursacht hatte, der für ihn glücklicherweise so glimpflich abgegangen war. Hätte ja auch ganz anders kommen können. Durfte man sich nicht vorstellen. Peters bierselige Schilderung hatte mir sehr deutlich vor Augen geführt, wie viel Glück ich hatte.
Dem einsamen roten VW Golf auf dem Parkstreifen vor dem alteingesessenen Fachgeschäft für Damen- und Kinderkleidung schenkte ich keine Beachtung. Ich hörte wohl, dass der Motor gestartet wurde, kümmerte mich aber nicht darum – bis der Golf quer über die Straße kam und dicht vor mir anhielt. Es war ein älteres, vergammeltes Modell mit Schrammen und einer Delle in der Fahrertür und dem HH für Hamburg im Kennzeichen. Etwa die Preisklasse, die der alte Koska zu seinen Lebzeiten vertrieben hatte. Das nahm dem roten Klunker an ihrer Hand jedes Gewicht in Karat und strafte die Prahlereien vom florierenden Club ihres Mannes Lügen.
Sie hatte wohl nur sichergehen wollen, dass ich allein auf dem Heimweg war, kurbelte die Seitenscheibe herunter. «Kann ich dich ein Stück mitnehmen, Konni?»
Ich schüttelte den Kopf und war in dem Moment sehr stolz auf mich. «Die frische Luft tut mir gut.»
Sie lachte. «Vor wem hast du Angst, vor dir oder vor mir? Jetzt sei nicht albern, Konni. Du hast es stundenlang ausgehalten, ohne mir die Kleider vom Leib zu reißen. Zwei Minuten schaffst du auch noch, oder willst du völlig durchnässt zu Hause ankommen? Zier dich nicht, steig ein.»
Also
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