Mit den Augen eines Kindes
einmal einem Fünfjährigen nachsehen. Wie hätte sie mir da verzeihen können? Über den Betrug hätte sie vielleicht hinweggesehen, aber nicht darüber, dass ich mich herausgeredet hatte.
Ich hatte scheußliche Angst, hätte dringend einen Menschen zum Reden gebraucht. Nicht Hanne – um Gottes willen. Es kam nur einer infrage, Jochen Becker. Er durfte mich anschließend auch einen hirnverbrannten Idioten, ein hundsgemeines Arschloch oder einen elenden Schweinehund nennen. Ich wusste ja selbst, dass ich einer war.
Doch es war an dem Morgen keine Zeit für eine Beichte. Übers Wochenende war einiges los gewesen, nicht nur auf dem Rathausparkplatz in Kerpen. Sieben Wohnungseinbrüche, sechs von Profis verübt, keine unnötigen Beschädigungen, keine vermeidbare Verwüstung, keine Spuren. In einem Fall jedoch hatten zwei üble Vandalen ein frisch renoviertes Wohnzimmer mit Spraydosen verschandelt und etliches zertrümmert oder aufgeschlitzt – nicht zum ersten Mal. Die Handschrift kannten wir bereits von drei anderen Einbrüchen.
Aber diesmal hatten aufmerksame Nachbarn, vom Lärm aufgeschreckt, die Polizei alarmiert. Die beiden Täter waren auf der Flucht gestellt worden und hatten sich ein Handgemenge mit der Besatzung eines Streifenwagens geliefert. Einer war entkommen, der zweite verletzt worden, er lag nun im Bergheimer Krankenhaus. Jochen brach auf, um ihm den Namen seines Komplizen zu entlocken.
Andreas Nießen kam erst um die Mittagszeit zum Dienst. Vormittags hatte er einen Augenarzt aufsuchen müssen. Er brauchte eine stärkere Brille, das brachte sein Arbeitsplatz so mit sich. Aber einen halben Tag brauchte man dafür garantiert nicht. Vermutlich war er zu Hause im Internet versumpft und sein Augenarzt ähnlich patientenfreundlich eingestellt wie Hannes Chef. Als er in meinem Büro auftauchte, um mir ein Attest für die Fehlzeit vorzulegen, eröffnete er mit der Auskunft, die von Godberg bei ebay angebotenen Teppiche und Meißner Figuren seien weg. Und das Smaragdcollier stehe inzwischen bei zweiundvierzigtausend.
«Hat Herr Becker sich dafür einen Kaufbeleg oder ein Echtheitszertifikat zeigen lassen?»
Das wusste ich nicht. Im Grunde hatte es keine Veranlassung gegeben, derartige Belege zu verlangen. Hätte Alex Godberg ein Schmuckstück als gestohlen deklariert, hätte das anders ausgesehen. «Warum?», fragte ich.
Er zuckte bedeutsam mit den Achseln. «Es könnte sein, dass Godberg seine Kunden mit falschem Schmuck betrügt. Man händigt ihm ein Pfand aus, bekommt aber nicht das Original zurück.»
«In welchem Chatroom haben Sie das entdeckt?», fragte ich.
Mir darauf zu antworten, war unter seiner Würde. Wer war ich denn? Nur ein unbedeutender Abteilungsleiter, und er pflegte sogar Kontakt zum FBI – hatte er Jochen neulich anvertraut. Aber auf dem Weg hatte er nicht in Erfahrung gebracht, was er loswerden wollte. Er ließ sich nun ausführlich über sein Wochenende aus. Ihn hatte es offenbar mächtig gewurmt, dass die alten Hasen – sprich Jochen und ich – nicht willens oder in der Lage waren, ihm Godbergs Computer zur Verfügung zu stellen, damit er den gesamten Kundenstamm auf der Suche nach dem Auftraggeber für den Einbruch durchforsten konnte. Also hatte er auf eigene Faust – und ausnahmsweise nicht im Cyberspace – ein paar Erkundigungen eingezogen.
Äußerst dienstbeflissen hatte Andreas Nießen den Samstag- und den Sonntagabend geopfert und hundert Euro riskiert. Aber das Glück war mit dem Tüchtigen gewesen, er hatte seinen Einsatz verdreifacht. Samstags war er in Aachen gewesen, sonntags in Bad Neuenahr, das war ja mit dem Auto auch schnell zu erreichen. Und tatsächlich kannte man Alex Godberg auch im dortigen Kasino, sah ihn sogar gerne. Half er doch den Spielwilligen, ihren Aufenthalt zu verlängern, wenn das Eigenkapital zur Neige gegangen war.
Dem eigentlichen Zweck seiner Bemühungen war unser guter Andy nur bedingt nahe gekommen. In Aachen hatte niemand ein nachteiliges Wort über Alex Godberg geäußert und keinen seiner Kunden preisgeben wollen. In Bad Neuenahr dagegen hatte Andy mit einem Gläschen Champagner und einem üppigen Trinkgeld eine Angestellte becirct und gehört, dass es einmal mächtigen Ärger gegeben haben sollte.
Mitte April hatte Alex Godberg in Bad Neuenahr angeblich einer jungen Dame namens Katja mit etwas Kleingeld ausgeholfen, nachdem Katja ihr Taschengeld verspielt hatte. Dafür habe Alex angeblich ein Schmuckstück als Pfand genommen, das
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