Mit den Augen eines Kindes
gar nichts aufgetischt, kein Wort über den netten Abend verloren. Vielleicht ein Fehler, aber ich hätte nicht irgendwas erfinden können.
Sie legte sich hin und zog sich gleich die Decke über die Schultern. Ich zog die Decke wieder fort und schaute sie an. Ich kannte jeden Zentimeter ihrer Haut, das kleine Muttermal unter ihrer linken Brust, die, auch wenn sie frisch rasiert waren, leicht stoppeligen Achselhöhlen, jeden einzelnen der inzwischen verblassten Dehnungsstreifen auf ihrem Leib, Überbleibsel der Schwangerschaft, Zeugnisse eines Wunders, das wir gemeinsam geschaffen hatten. Maren hatte kein Muttermal, keine Streifen, nur straffe, leicht gebräunte Haut und Achselhöhlen so glatt wie ihre Stirn. Keine Ahnung, wie sie das erreichte, bestimmt nicht mit einem Damenrasierer, wie Hanne ihn benutzte.
Sie folgte meinen Blicken aufmerksam. Auch als ich mich über sie beugte, schloss sie die Augen nicht. «Sie war doch da», stellte sie ruhig fest.
Ich nickte und sah, wie sie die Unterlippe einzog und darauf kaute. Sie sah so verletzlich aus in dem Moment. Zwei, drei Sekunden vergingen. Dann sagte sie: «Pech gehabt. Man sollte sich eben nicht auf das verlassen, was andere erzählen. Du wolltest nicht gehen, ich hab dich geschickt, da darf ich mich jetzt nicht beschweren, oder?»
Sie setzte voraus, dass es passiert war, setzte es einfach voraus. Aber ich hatte ihr vor Jahren ja auch ausführlich erzählt, was mit mir geschah, wenn Maren Koska in meiner Nähe auftauchte. Der Verstand rutschte in die Hose, das Hirn blutete aus.
«Ich liebe dich», sagte ich.
«Das weiß ich, Konrad», sagte sie. «Du hast mich auch in der vergangenen Nacht geliebt, da bin ich ganz sicher. Was passiert ist, hatte überhaupt nichts mit uns beiden zu tun.»
Ich wollte sie nicht belügen, nur beruhigen, erzählte ihr, was ich von Maren gehört hatte. Dass sie verheiratet und sehr beeindruckt von ihrem Mann war. Dass sie schon um halb zwei gegangen war, das war doch die Wahrheit. Und dass ich wusste, wohin ich gehörte.
«Das hoffe ich», sagte Hanne.
Wenn sie mich nur nicht so erleichtert dabei angeschaut hätte. Ihre Schulter roch nach der Duschlotion, die sie seit langer Zeit benutzte. Es war ein leichter, vertrauter Duft, sauber und appetitlich. Dann schloss sie die Augen doch noch, legte beide Hände in meinen Nacken und zog meinen Kopf über ihr Gesicht.
«Zeig es mir, Konrad.»
Es hatte nichts mit Liebe zu tun und nichts mit Lust. Es war nur die Flucht aus der stürmischen See in den Heimathafen, zur Ruhe kommen in stillen Gewässern. Als ich schließlich wieder neben ihr lag, war Maren ein wenig von mir abgerückt. Ihren Geruch überlagerte Hannes Duschlotion, ihren Geschmack hatten Hannes Küsse vertrieben. Den großen Rest hoffte ich, so schnell wie möglich hinter mir zu lassen.
Die wundgescheuerte Haut brannte. «Die kleinen Sünden bestraft der liebe Gott sofort», hatte meine Mutter früher oft gesagt. Einmal musste eine kleine Sünde gewesen sein. Ein zweites, drittes oder gar viertes Mal sündigen könne ich nicht, dachte ich. Wo nun auch Marens Vater unter der Erde lag und nur noch die Konkursmasse aufgelöst werden musste, gab es keinen Grund mehr, der alten Heimat einen Besuch abzustatten. Für die Grabpflege reiste sie bestimmt nicht persönlich an. Noch einmal zum Abschied! Aber diesmal wirklich und endgültig. Dazu war ich fest entschlossen, was ja nicht allzu schwer gewesen wäre, wenn Maren wirklich nur für ein Wochenende in Kerpen gewesen wäre.
Montag, 26. Mai
Beim Frühstück war ich körperlich wieder einigermaßen fit, aber seelisch längst noch nicht wieder im Lot. Tausend Zufälle sah ich mir zum Verhängnis werden. Peter Bergmann musste sich ja nur einen blauen Montag genehmigen, um seinen Kater völlig auszukurieren. In so einem Fall schaute man kurz beim Arzt rein und ließ sich krankschreiben. Hannes Chef war diesbezüglich für seine Großzügigkeit bekannt. Davor oder danach plauderte man ein Weilchen mit dieser tüchtigen Arzthelferin. Da konnte man in einem Aufwasch seine Neugier bezüglich des Bratens in ihrer Röhre befriedigen.
Nur ganz am Rande bekam ich mit, dass unser Braten noch einmal inbrünstig um seinen Nachmittag bei Sven bettelte und seine letzte Möglichkeit ausschöpfte: «Und wenn gar keine Rocker da waren?»
Doch Hanne ließ nicht mit sich handeln. Heute nicht. Strafe musste sein, sonst lernte er ja nie, wie sehr sie es verabscheute, belogen zu werden. Das konnte sie nicht
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