Mit den Augen eines Kindes
gegenüber alles herausnehmen.
Aber inzwischen hatte Manfred Anschütz ihn eines Besseren belehrt. Er bestätigte den Hammerangriff aufs Auto, obwohl er gar kein Motorrad besaß. Er hatte sich eben eins geliehen, von wem, wollte er nicht verraten, weil das eine aufgemotzte Maschine war, die der TÜV vermutlich sofort aus dem Verkehr gezogen hätte. Manfred Anschütz nahm auch ungefragt den gebrochenen Arm seiner Schwester auf seine Kappe. Von wegen Ollis Banane. Eine schlimme Sache war das gewesen, natürlich nur ein Versehen, das Ella mit ihrem Versuch, Mann und Bruder zu trennen, auch noch herausgefordert hatte.
Und dann, erzählte Manfred Anschütz frei von der Leber weg, habe er dafür gesorgt, dass Ella in eine Frankfurter Klinik gebracht wurde, wo Alex sie nicht täglich bequatschen konnte.
Er habe darauf gehofft, dass sie unter dem Einfluss der Frankfurter Schwester zur Vernunft käme und nicht länger alles schluckte, was Alex ihr zumutete. Und er habe gedacht, nicht richtig zu hören, als die Schwester ihn letzte Woche anrief und erklärte, Alex habe Ella nach Hause geholt.
«Gut», sagte Manfred Anschütz. «Im ersten Moment dachte ich, ist ja ein Kind da, da sollte man die Flinte vielleicht nicht so schnell ins Korn werfen. Alex hatte Zeit zum Nachdenken, vielleicht ist er zur Vernunft gekommen. War er aber nicht, der hatte es toller getrieben als vorher. Der hatte die Tussi bei sich, während Ella in Frankfurt war. Stellen Sie sich das vor, legt seine Freundin in Ellas Bett, so eine Unverschämtheit. Hat Ella aber erst gestern gehört. Das Weib besaß die Frechheit, sie anzurufen und zu fragen, warum sie zurückgekommen ist. Danach rief Ella mich an, völlig aufgelöst war sie. Ich bin natürlich sofort hin, und dann hab ich da mal richtig aufgeräumt.»
Was man sich darunter vorzustellen hatte, erklärte er nicht. Und Jochen war nicht sicher, wie viel er Manfred Anschütz glauben durfte. Bei dem überprüfbaren Punkt Motorrad hatte Ellas Bruder ja gemauert. «Ich schätze», meinte Jochen, «wenn Godberg morgen die Bude in Flammen aufgeht, wird Anschütz das auch auf seine Kappe nehmen, sollte Ella das von ihm verlangen.»
Und mitten hinein in seine Überlegungen, ob es nicht ratsam wäre, die Kollegen von der Wirtschaftskriminalität auf Godberg zu verweisen, klingelte das Telefon auf meinem Schreibtisch. Das Display zeigte einen unbekannten Anrufer, wir hatten in der Dienststelle ja auch ISDN-Anschlüsse. Aber unsere Apparate waren so eingestellt, dass sie ihre Nummern nicht übertrugen.
Ich nahm ab, und Maren fragte: «Wann machst du Feierabend, Konni?»
Ihre Stimme klang nach Rauch, nach Salz, nach Lust und ein bisschen nach den Vordersitzen eines schäbigen roten Golf.
«Zu spät, um noch nach Hamburg zu kommen», sagte ich und biss mir auf die Unterlippe.
Sie lachte leise. «Hast du ein Glück, Konni. Mein Mann hat immer noch keinen kompletten Überblick über die Konkursmasse und wollte mich nicht alleine zurückfahren lassen. Und da dachte ich, wir beide könnten die Zeit nutzen. In ein paar Tagen sind wir wieder weg, dann tut es mir garantiert Leid, nicht mitgenommen zu haben, was ich noch kriegen kann.»
Meine Lippe begann zu schmerzen. Jochen hatte längst irritiert die Stirn gerunzelt. Dass es sich nicht um ein dienstliches Gespräch handelte, begriff er spätestens, als ich sagte: «Bei mir ist nichts mehr zu holen, Maren.»
«Das sehe ich anders, Konni.» Sie war bereits im Hotel.
«Stell dir vor, ich habe sogar dasselbe Zimmer bekommen wie damals. Zweihundertzwölf, falls du dich nicht mehr erinnerst. Ich warte auf dich. Wenn du in einer Stunde nicht hier bist, telefoniere ich noch ein bisschen. Das wird dann aber eine Menge Ärger geben, fürchte ich. Peter erzählte am Samstagabend, deine Mutter reagiere immer noch mit allergischen Ausschlägen, wenn sie nur annehmen müsste, ich könnte in deiner Nähe auftauchen. Also mach dich lieber auf die Socken, wenn du verhindern willst, dass sie von deinem Ausflug mit dem Schmuddelkind erfährt.»
Als ich auflegte, meinte Jochen gedehnt: «Maren? Das hab ich doch hoffentlich missverstanden.»
«Ihr Vater ist neulich gestorben», sagte ich.
«War ja mal mit zu rechnen», meinte er. «Und wie viel Zeit hat sie diesmal, um dich fertig zu machen?»
«Die Gelegenheit bekommt sie nicht», sagte ich.
Jochen lachte unfroh. «Das sah aber gerade ganz anders aus. Du hättest dein Gesicht sehen müssen.» Er verließ mein Büro mit dem Hinweis:
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