Mit den Augen eines Kindes
Kinderstimme verrückt machen ließ. Einen Zusammenhang herzustellen, nur weil Maren ihren Mann Rex nannte, erschien mir hirnverbrannt.
Alex’ Nervosität bei meinem Anblick konnte auch einen völlig harmlosen Grund haben. Vor der Freundin setzte man sich vermutlich auch nicht gerne mit der Polizei auseinander.
Mit dem Gedanken beruhigte ich mich noch einmal oder versuchte vielmehr, mich selbst davon zu überzeugen, dass nicht sein konnte, was nicht sein durfte.
Nachmittags mussten wir meinen Eltern einen Besuch abstatten. Offiziell, mit Kuchen und Geschenken, sollte der Geburtstag meines Vaters im Kreise der gesamten Familie am Sonntag gefeiert werden, weil die Frauen meiner Brüder samstags arbeiten mussten. Da wir quasi um die Ecke wohnten, mussten wir zumindest auf den Tag gratulieren und anschließend natürlich zum Kaffee bleiben. Und kaum saßen wir, erschien zuerst Matthias, mein älterer Bruder, kurz nach ihm Ludwig, der jüngere. Es geht doch nichts über ein harmonisches Familienleben.
Mutter ging noch einmal in die Küche, um frischen Kaffee aufzubrühen. Mich winkte sie mit einer energischen Geste hinterher. «Konrad!», sprach die Frau Mama, stemmte beide Arme in die Hüften und legte los, dass der Donnergott vor Neid erblasst wäre. Ihr Blick hatte etwas von einer Bohrmaschine. Es war mehr als unangenehm, weil die Wohnung meiner Eltern nicht sonderlich geräumig ist und die anderen gleich nebenan saßen. «Gestern Abend hat dieses Weib hier angerufen und wollte dich sprechen.»
Für meine Mutter war Maren ab der sechsten Klasse nur noch dieses Weib gewesen. Und wäre Mutter anders erzogen worden, hätte sie bestimmt andere Ausdrücke benutzt, um klar zu machen, was die einzige Tochter eines der ehemals reichsten Männer im Ort in ihren Augen darstellte. Das Wort Flittchen hatte sie einmal über die Lippen gebracht, zu mehr war sie nicht fähig. Und Flittchen passte ihrer Meinung nach nur zu einem jungen Mädchen. Die Intensität ihres Blickes steigerte sich, bekam die Qualität und Durchdringlichkeit von Röntgenstrahlen. «Kannst du mir vielleicht mal erklären, was die von dir wollte?»
Nein, konnte ich nicht. «Sie hat letzten Samstag doch mal kurz vorbeigeschaut», sagte ich. «Aber nur, weil ihr Mann hier zu tun hatte, er kümmert sich um die
Angelegenheiten ihres verstorbenen Vaters.»
«Blödsinn!», schnaubte Mutter. «Was es da zu kümmern
gab, hat die doch längst erledigt.»
Wie immer war sie bestens informiert über alles, was in
der Stadt vorging und getratscht wurde. Der alte Koska
war nicht kürzlich, sondern schon im Oktober des
vergangenen Jahres beerdigt worden. In aller Stille
beigesetzt – im wahrsten Sinne des Wortes. Nicht mal eine Todesanzeige in der Rundschau, dem Kölner Stadtanzeiger oder wenigstens in der Werbepost habe es gegeben. Und die einzige Tochter, seine Prinzessin Silberhaar, hatte es für überflüssig befunden, als trauernde Hinterbliebene dem Sarg das letzte Geleit zu geben und am offenen Grab ein oder zwei Tränen zu vergießen.
«Aber abkassieren», polterte Mutter.
Konkurs hatte der Alte laut ihr nicht gemacht. Wie denn auch, bei sieben Mietshäusern, in denen durchschnittlich acht Parteien lebten, die zwischen drei- und vierhundert Euro pro Monat zahlten? Das waren rund zwanzigtausend pro Monat. Gut, es gab zwei oder drei Blocks, in denen das Sozialamt bedürftige Leute untergebracht hatte, aber für die zahlte das Amt ja auch die Miete.
Die Immobilien verwaltete Maren nun selbst. Seit November mussten meine Eltern die Miete nach Hamburg überweisen. Eine Mieterhöhung hatte es natürlich auch sofort gegeben, aber keinen neuen Durchlauferhitzer fürs Bad. Ein paar Tage vor dem Tod des Alten hatte Fred Pavlow – der Geschäftsführer mit der sozialen Ader, der vor Jahren dafür gesorgt hatte, dass die Nachtspeicherheizung eingebaut wurde, damit niemand mehr Kohlen schleppen musste – noch versprochen, den Austausch des Durchlauferhitzers zu veranlassen und sich darum zu kümmern, dass isolierverglaste Fenster eingesetzt wurden, damit man Heizkosten spare. Nur hatte Fred Pavlow dann nichts mehr zu sagen gehabt.
Bis Ende Februar hatte er sich noch um den Gebrauchtwagenhandel und die Baumaschinen kümmern dürfen und dann von einem Tag auf den anderen die Papiere bekommen, weil das Weib der Meinung war, er erziele nicht genug Gewinn. Keinen Pfennig oder Cent, wie das neuerdings hieß, Gehalt für den letzten Monat seiner Tätigkeit hatte der arme
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