Mit den Augen eines Kindes
ich.
Er tippte sich salopp an die Stirn und setzte zur Entschuldigung sein jungenhaft unbekümmertes Lächeln
auf. «Sorry, ich vergaß. Sie sind ja nicht mit Hanne verheiratet.»
«Aber Sie mit Ella», stellte ich fest.
Er nickte, sein Lächeln veränderte sich. Ich hätte nicht sagen können, ob es hilflos oder selbstgefällig wurde. «Ja,
und zwar schon seit zwölf Jahren. Wir waren beide gerade mal achtzehn, als wir uns getraut haben», teilte er mit. «Früher ging es ja leider nicht. Aber derzeit bin ich Strohwitwer.» Darauf folgte ein Seufzer. «So ein Seitensprung kann üble Folgen haben. Ich hoffe nur, dass Ella mir bald verzeiht. Es ist ganz schön einsam ohne sie.»
Ich stellte mich auf seinen lockeren Plauderton ein und machte den ersten Fehler, weil ich überzeugt war, dass er ihren Namen kannte. Herrgott, sie war doch seit über eine Woche bei ihm. «Sie sind doch gar nicht allein», sagte ich. «Ihr Sohn ist bei Ihnen, und Maren kann eine durchaus angenehme Gesellschafterin sein.»
Alex war pure Überraschung. «Wer ist Maren?»
Rudolf sah es wohl ebenso wie ich, schob ihm eines der Fotos hin, die am vergangenen Abend entstanden waren. Allzu viel war darauf nicht zu erkennen, weil der Kollege von draußen in einen Raum fotografiert hatte. Man sah eigentlich nur, dass jemand auf einer Couch saß.
«Maren Koska», sagte ich. «Die Dame, die Ihr Auto benutzt und Ihren Sohn derzeit beim Zähneputzen beaufsichtigt.»
Alex hob erstaunt eine Augenbraue an, als hätte ich ihm gerade ein Geheimnis offenbart, hinter dem er schon lange her war. «Koska», wiederholte er und wiegte den Kopf dabei. «So hat sie sich mir nicht vorgestellt.»
«Wie dann?», nahm Rudolf die Sache in seine Hände.
Alex streifte ihn mit einem ausdruckslosen Blick, schob das Foto wieder zu ihm hinüber und kapitulierte. «Gar
nicht. Aber das kann man von Tieren auch nicht erwarten. Mit Namen anreden muss ich sie nicht. Für den täglichen Umgang reicht ein devotes Sie. Gedanken lesen kann sie zum Glück nicht.»
Mit einem vernehmlichen Atemzug richtete er den Blick aufs Fenster. Ob er die Blätter an den Büschen draußen zählte, war nicht ersichtlich. «Wahrscheinlich muss ich dem Schicksal auch noch dankbar sein», fuhr er nach einer Weile fort, «dass sich nicht anstelle der Frau der Doktor bei mir einquartiert hat. Er hätte meinem Sohn inzwischen vielleicht schon alle Zähne gezogen. Kennen Sie den auch namentlich?»
Rudolf schüttelte den Kopf.
«Schade», meinte Alex. «Sein Name hätte mich mehr interessiert. Ich nenne ihn Ratte, eine hundsgemeine, dreckige Ratte. Er stinkt auch wie so ein Vieh.»
Nach diesem Hinweis war ich mir absolut sicher, dass die Ratte gestern beim Kindergarten gewesen war. Rudolf tat so, als hätte er es nicht gehört. «Und wie nennen Sie den anderen?», fragte er.
Alex lächelte wieder, aber jetzt war sein Lächeln schmerzlich. «Rex? Den nenne ich Boss, das hört er gerne. Da fühlt er sich geschmeichelt, nehme ich an. Und es kann ja nicht schaden, sich den gewogen zu machen, der sich für den Boss hält.»
«Was heißt hält?», fragte Rudolf. «Ist Rex Ihrer Meinung nach nur ein Befehlsempfänger?»
Alex zuckte mit den Achseln. «Das nicht, aber er hat nicht alles so im Griff, wie sich das für einen Boss gehört.»
Ich holte noch einmal Kaffee an den Tisch. Er zündete sich die vierte Zigarette an und starrte zum Fenster hinaus. Rudolfs weitere Fragen beantwortete er, als wolle er der Fensterscheibe etwas erzählen. Mit Henning Grossert und dem Smaragdcollier hatte es absolut nichts zu tun. Das edle Schmuckstück war nach Ellas Armbruch völlig legal in seinen Besitz übergegangen. Schadenersatz fürs demolierte Auto und Schmerzensgeld. Grossert sei ein Großmaul, meinte Alex, spiele den starken Mann, tobe seine Wut jedoch nur an leblosen Gegenständen aus. Als Ella stürzte, sei er in die Knie gegangen – im wahrsten Sinne des Wortes. Das hatte Olli ja auch berichtet. Vermutlich hätte Grossert Ella huckepack ins nächste Krankenhaus getragen, wenn der Rettungswagen nicht gekommen wäre.
Was Rex anging – mit dem Namen Helmut Odenwald konnte er nichts anfangen –, meinte er, er habe den Boss einmal gesehen, in Aachen, allein, Anfang April. So ein Bulle, mit einem Gestrüpp wie eine unbeschnittene Hecke im Gesicht, fiel eben auf und prägte sich ein, auch wenn er sich in edlen Zwirn wickelte und locker ein paar Jetons verteilte.
Mit Rex zu tun gehabt habe er nichts,
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