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Mit den Augen eines Kindes

Mit den Augen eines Kindes

Titel: Mit den Augen eines Kindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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erklärte er. Sie seien aus heiterem Himmel über ihn und seine Familie gekommen. Der Einbruch hätte ihn vielleicht vorwarnen müssen. Aber wie denn, wenn die Kremers von einem Jugendlichen sprachen? Jugendlich war die Ratte weiß Gott nicht. «Bei seiner Statur mag er auf Distanz wie ein Halbwüchsiger wirken. Er wiegt im Höchstfall sechzig Kilo, eher weniger. Ich schätze ihn auf Ende vierzig, Anfang fünfzig. Aber ich kann mich täuschen, vielleicht ist er zwanzig Jahre jünger, kampiert lieber im Freien als in geschlossenen Räumen und sieht deshalb aus wie ein zerknittertes Hemd. Seine Hände und sein Geruch sprechen jedenfalls dafür, dass er sich in Badezimmern nicht auskennt.»
Er wandte sich mir zu. «Als es die ganze Woche ruhig blieb, war ich sicher, dass Ihr Kleiner nicht geplaudert hat. Das war wohl ein Irrtum. Aber wenn Sie mich jetzt in Ruhe lassen, ist Ella vielleicht schon Anfang nächster Woche wieder bei mir.
Ich habe Herrn Becker am Dienstagabend doch zu verstehen gegeben, dass ich keine Hilfe brauche. Ich habe es fast zusammen, da werde ich auf den letzten Drücker keine Leute ins Boot nehmen, die ihr eigenes Süppchen kochen wollen.»
«Wie viel?», fragte Rudolf.
Alex schaute wieder ihn an. Seine Unterlippe zitterte leicht.
«Was meinen Sie, wie viel die schon haben, wie viel noch fehlt, oder wie viel die insgesamt wollen?»
«Das letzte zuerst», sagte Rudolf.
Alex rührte bedächtig seinen Kaffee um. «Zwei Millionen.»
«Und die bringen Sie bis Anfang nächster Woche zusammen?» Die Frage konnte ich mir nicht verkneifen. Vielleicht hätte ich ihn bewundern müssen. Ein Mann, der seine Frau gelegentlich mit zwanzig Euro Haushaltsgeld abspeisen musste, machte innerhalb von vierzehn Tagen zwei Millionen flüssig, eine reife Leistung.
Alex nickte, ein bisschen feindselig und ein bisschen trotzig.
«Vielleicht nicht ganz auf legalem Weg, wenn Sie das meinen. Aber ich schaffe es. Wenn ich mich strafbar mache, können wir das später klären. Wenn Sie allerdings meinen, Sie müssten jetzt unbedingt mitmischen, brauche ich nicht einmal mehr das Geld für einen Sarg und die Grabstelle. Beckers Auftritt hat das Weib zum Glück geschluckt. Der Mann weiß wenigstens, was er tut. Er brachte Geld, nicht viel, aber Kleinvieh macht auch Mist, meinte sie. Aber wissen Sie, was passiert ist, als Sie am Samstag das verdammte Bilderbuch abgeholt haben?»
Natürlich wusste ich es nicht. Er erzählte es uns. «Kaum waren Sie weg, ging das Weib zur Garage, völlig harmlos. Ich habe mir nichts dabei gedacht, sie macht ja auch Einkäufe für uns oder fährt zu ihrem Vergnügen in der Gegend herum. Und sie konnte doch nicht ahnen, dass Sie von der Kripo sind. Ich habe Sven eingeschärft, dass er nicht über Olivers Vater reden darf. Das hat er auch nicht getan. Beinahe hätte ich mich verplappert. Ich hab’s mir im letzten Moment verkniffen. Aber die Sau wusste trotzdem Bescheid. Nach einer knappen Stunde kam sie zurück.»
Seine Stimme brach, er hatte Mühe, die Tränen zurückzuhalten, biss sich auf die Lippen. «Sie brachte Ellas blutverschmierten Gips mit und sagte, beim nächsten Mal bringt sie mir den Arm, den könnte meine Frau jetzt sowieso nicht mehr gebrauchen.»
Ich hatte unvermittelt die kleine Katze vor Augen, den abgebrochenen Zweig in Marens Hand und den faszinierten Ausdruck in ihrem Gesicht. Mein Kaffee schmeckte plötzlich wie mit Salzsäure aufgebrüht und mit einer Mistgabel umgerührt. So ist das, wenn der letzte Funke einer ohnehin schmalbrüstigen Hoffnung erlischt. Maren stocherte wieder einmal in blutigen Wunden. Ein Aspekt, über den ich in all den Jahren, nicht einmal in den letzten Tagen, richtig nachgedacht hatte. Freude am Leid, dem Leid anderer wohlgemerkt. Warum sonst tat man so etwas, quälte hilflose Kreaturen? Weil es Spaß machte, weil man sich groß und stark fühlte dabei, mächtig, allmächtig, die Herrin über den Schmerz.
    Mir war entsetzlich übel. Rudolf dagegen ließ sich von dem blutverschmierten Gipsverband nicht aus der Ruhe bringen. Er wollte das Gespräch wohl nicht in eine Richtung abdriften lassen, in der es zwangsläufig Scherben geben musste. In sachlich nüchternem Ton erklärte er: «Strafbar gemacht haben Sie sich bereits. Sie haben für siebenundvierzigtausend Euro ein Collier verkauft, dass nicht mehr wert sein dürfte als die Fensterscheibe.»
    Alex fand seine Fassung unerwartet schnell zurück und grinste abfällig. «Etwas mehr schon. Es ist Silber, und

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