Mit den Augen eines Kindes
Pakt mit dem Teufel. Mitten hineinstoßen in die Glut der Hölle, wer konnte das schon? Und wer durfte erwarten, mit heiler Haut davonzukommen, wenn er sich mit dem Teufel einließ?
Kurz nach acht traf ich in Hürth ein, Andreas Nießen fing mich vor Rudolf Grovians Büro ab mit der Auskunft, das Smaragdcollier sei bei ebay für siebenundvierzigtausend und ein paar Zerquetschte weggegangen – zusammen mit einem Echtheitszertifikat. Andy hatte sich mit ausdrücklicher Genehmigung von oben als Hacker betätigt und in das Frage- und Antwortspiel zwischen Alex und dem Käufer eingeklinkt.
«Das muss die Imitation gewesen sein», mutmaßte er. «Jetzt hat Godberg zwei Uhren im Netz, eine Rolex und eine Patek Phillipe. Auf drei Tage begrenzt, kein Safetrade diesmal, also erst Cash, dann die Ware. Herr Grovian sagte, die Uhren hätte Godberg letzte Woche schon verkauft. Wenn rauskommt, was er treibt, ist er seinen Ruf als äußerst zuverlässiger Powerseller aber los.»
«Das dürfte derzeit seine geringste Sorge sein», sagte ich, wollte anklopfen und erhielt von Andy noch den Hinweis: «Da gehen Sie jetzt besser nicht rein. Herr Grovian und Frau Beske haben Godbergs Onkel in der Mangel.»
Der Onkel war schon um sechs aus dem Bett geholt worden. In aller Herrgottsfrühe schüchtert man die Leute wesentlich besser ein. Und es schien ein lohnender Fang. In der Goldschmiede war ein dicker Packen Hochglanzfotografien sichergestellt worden, auf denen auserlesene Preziosen von allen Seiten und in allen Details abgelichtet waren. Von jedem Stück hatte Alex im Laufe der Zeit ein Duplikat anfertigen lassen.
Bis zu diesem Geständnis hatten Rudolf Grovian und Helga Beske den Onkel schon gebracht, als ich Andys Warnung zum Trotz ohne zu klopfen eintrat und mir einen unwilligen Blick von Helga Beske einfing. Godbergs Onkel, der ebenfalls Godberg hieß, wurde durch mein Erscheinen unterbrochen. Helga Beske half ihm, den Faden wieder aufzunehmen.
Angeblich war der falsche Schmuck nur für Ella hergestellt worden. Das hatte ihr Bruder ja auch behauptet. Alex betrog keine Leute damit, Alex betrog überhaupt niemanden, er war als Geschäftsmann durch und durch integer. Das wollte sein Onkel beim Leben irgendeines Kindes beschwören. Das glaubte ihm nur keiner. Von Schwierigkeiten, in denen sein Neffe stecken könnte, wusste er nichts. Er war doch gerade erst aus dem Urlaub gekommen. Seines Wissens war Ella in Frankfurt, zusammen mit Alex und Sven. Gestern Abend hatte Alex noch aus Frankfurt angerufen und gesagt, sie würden noch ein paar Tage bleiben.
Eheprobleme, Haushaltsauflösung und Auswanderung, dazu schüttelte der Onkel verblüfft und entrüstet den Kopf. Wer verbreitete denn solch einen Unsinn? Dass Alex seine vergötterte Ella mit einer anderen Frau betrügen sollte, nein! Völlig ausgeschlossen, absolut unvorstellbar. Sie waren füreinander die erste Liebe gewesen, und sie würden füreinander die einzige Liebe bleiben.
Was unsere Leute am vergangenen Abend durch ihre Ferngläser beobachtet hatten – man musste einfach bedenken, dass ein Mann, der seine Frau vergötterte, eine Menge tat, um sie möglichst unbeschadet zurückzubekommen. Wahrscheinlich küsste so ein Mann den Entführern auch die Füße oder wischte ihnen die Hintern ab, wenn sie das von ihm verlangten.
Was ich auf dem Herzen hatte, musste ich verschieben. Helga Beske fuhr den Onkel nach Hause. Rudolf Grovian betrachtete mich mit einem Blick, der deutlicher war als jedes Wort. Wir hätten uns Godberg gestern Abend wohl doch schnappen müssen. Mein Fehler. Wer weiß, ob sich so eine Chance noch einmal bietet. Dann bemühte er sich um einen richterlichen Beschluss, der uns einen Einblick in Godbergs Konten verschaffen sollte.
Fünf Minuten später saßen wir wieder im kleinen Kreis im Büro des Chefs. Thomas Scholl hatte dem Familienidyll zum Trotz die ganze Nacht an Kremers Küchenfenster ausgeharrt und saß immer noch da. Er meldete sich telefonisch; keine besonderen Vorkommnisse. Aber zwei neue Aspekte. Godberg verhökerte auch Imitate hochwertiger Uhren. Und beim Kindergarten hatte sich gestern ein kleiner Mann herumgetrieben.
Meine einsame Entscheidung, dass Olli in den nächsten Tagen bei Oma und Opa bleiben müsse, stieß zwar auf menschliches Verständnis, war aber trotzdem falsch. Es glaubte zwar niemand, der kleine Mann könne ein anderer gewesen sein als der Vater von Tobias. Aber wenn uns der Glaube trog, vielleicht hatten wir Glück –
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