Mit den scharfen Waffen einer Frau
Moment sagte sie sich, dass es keinen Grund zur Sorge gab – denn Jericho war ja in ihrer Nähe. Und er würde sie sicher führen.
Neugierig blickte sie in alle Richtungen, hatte aber Mühe, alles aufzunehmen, was sie sah. Der Waldboden war so weich, dass sie das Gefühl hatte, mit jedem Schritt zu federn. Tief atmete sie den würzigen Duft der Piniennadeln ein, die den Boden bedeckten. Die Bäume waren so hoch, dass ihre Wipfel den Himmel zu berühren schienen.
Ab und zu kamen sie an einer Lichtung vorbei, auf der Wildblumen blühten, deren Köpfe und Stiele sich im kühlen Wind neigten. Und dann dieser Himmel. So ein klares Blau hatte Daisy noch nie gesehen. Der Anblick war so schön, dass ihr dieser Gewaltmarsch sogar weniger anstrengend vorkam.
Als sie plötzlich der Länge nach hinfiel, wusste sie, dass sie unaufmerksam gewesen war. „Aua!“
Schnell sprang Nikki von ihrem Arm. Noch bevor Daisy sie zurückrufen konnte, war sie in den Wald gerannt.
Jericho war sofort an ihrer Seite und zog sie hoch. „Alles in Ordnung?“
„Nichts passiert“, murmelte sie, mehr beschämt als verletzt. Sie schlug sich Tannennadeln und Schmutz von Pullover und Jeans. „Ich habe mir den Himmel angeschaut und – Nikki, Liebling, komm wieder her!“
„Achten Sie besser auf den Weg, okay?“
„Werde ich. Es war nur so schön und – Nikki!“
Als der Hund irgendwo in der Nähe bellte, fluchte Jericho leise vor sich hin.
„Ich habe sie erschreckt, als ich hingefallen bin“, sagte Daisy zur Verteidigung ihres Hundes.
Da raste Nikki schließlich auf sie zu und stellte sich tänzelnd auf die Hinterpfoten.
„Da bist du ja, meine Süße! Du hast Mommy ganz schön erschreckt.“
„Mommy?“
„Sie ist mein Ein und Alles!“ Daisy lächelte und beugte sich hinunter, um Nikki die leuchtend rote Leine anzulegen.
„Verstehe.“ Jericho schüttelte den Kopf. „Können wir jetzt weitergehen?“
„Selbstverständlich.“ Sie hatte sich vorgenommen, die ganze Wanderung über gelassen, heiter und positiv zu bleiben. Sie würde sich ihren Platz auf seinem Berg erarbeiten, und wenn es sie ihre letzten Kräfte kostete. „Noch zehn Meilen sind kein Problem für mich. So viel haben wir wahrscheinlich schon hinter uns gebracht, richtig?“
Er sah sie erstaunt an. „Wir haben gerade einmal zwei Meilen geschafft.“
„Wirklich? Oh“, sagte sie und dachte an ihre schmerzenden Beine. „Kam mir viel länger vor.“
„Wem sagen Sie das“, murmelte Jericho und setzte sich wieder in Bewegung.
Trotz Höhenluft, Kletterei und Atemnot stapfte Daisy tapfer weiter.
„Ich habe mich über Sie schlau gemacht. Bevor ich hergekommen bin, wissen Sie?“, rief sie.
„Tatsächlich?“
Sie fand es unhöflich, dass er einfach weiterlief, ohne sich nach ihr umzudrehen. Deutlicher konnte er ihr gar nicht zu verstehen geben, wie wenig Interesse er an ihr hatte. Doch das hielt sie nicht davon ab, weiterzureden. „Na ja, natürlich nicht nur über Sie. Auch über diesen Ort. Den Berg, auf dem Sie leben, die Umgebung. Wussten Sie, dass es hier mal Grizzlys gegeben hat?“ Obwohl sie gelesen hatte, dass diese Bärenart in Kalifornien so gut wie ausgestorben war, beschlich Daisy in diesem Moment ein mulmiges Gefühl.
„Ja“, antwortete er knapp. „Wusste ich.“
„Und“, fügte sie hinzu, „wussten Sie auch, dass der King Mountain, also der Berg, auf dem Sie leben, das größte private Wildareal ist?“
„Wusste ich auch.“
Sie runzelte die Stirn und biss sich auf die Unterlippe. Natürlich wusste er das, er war ja schließlich der Besitzer. Trotzdem hätte er wenigstens so tun können, als würde er ihr zuhören. „Auf den Karten, die ich gesehen habe, habe ich auch einen Wasserfall entdeckt. Kommen wir dort vorbei?“
„Könnte sein.“
Was für ein unhöflicher Kerl, dachte sie und spürte, dass sie langsam, aber sicher wütend wurde. Er sprach absichtlich nicht mit ihr. Auf diese Weise wollte er sie wahrscheinlich zwingen, den Mund zu halten. Er hatte ja keine Ahnung, wozu sie fähig war. Ihre Mutter hatte immer gesagt, dass sie sogar auf einen Holzklotz einreden könnte. Was ich im Prinzip ja auch tue, dachte Daisy seufzend.
„Ich kann immer noch nicht glauben, dass Sie Ihren eigenen Berg besitzen“, sagte sie kopfschüttelnd. „Wissen Sie eigentlich, dass Ihr Name auf den offiziellen Karten verzeichnet ist? King Mountain.“
„Ja“, murmelte er. „Ich weiß. Wussten Sie eigentlich, dass Sie nicht so viel reden
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