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Mit der Hoelle haette ich leben koennen

Titel: Mit der Hoelle haette ich leben koennen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Matijevic
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drücken, als er mit einem leidenschaftlichen Schrei in der Lautstärke eines startenden Jumbojets seinen Unmut kundtat.
    Ich war wie vom Donner gerührt, und meine Freundin fing lauthals zu lachen an. Okay, er wollte offenbar mal kurz klären, wer hier die Spielregeln bestimmte: Nur weil seine Tante aus dem Krieg zurückgekehrt war, war das noch lange kein Grund für ihn, gute Miene zu machen.

    »Mach dir nichts draus, Sine«, sagte meine Mutter und nahm mir den schreienden Jungen ab. »Mir geht es mit ihm manchmal nicht anders.«
    Beim Frühstück redeten wir über alles Mögliche, vor allem darüber, was sich während meiner Abwesenheit in Deutschland ereignet hatte. Meinen Einsatz und das, was ich im Kosovo erlebt hatte, sparten wir dagegen ganz aus. Ich war den anderen dankbar, dass sie nicht weiter nachfragten, denn ich wäre nicht imstande gewesen, vom Krieg zu erzählen.
    Ich hatte meine Familie wirklich sehr vermisst - meine zuckersüße Nichte, meine Schwester, meine liebe Mutter, meinen Schwager, sogar meinen kleinen Neffen. Einen Moment wie diesen, am Frühstückstisch, hatte ich immer wieder herbeigesehnt. Doch nun saß ich mitten unter meinen Lieben, hatte sie alle wieder um mich - und fühlte mich total verloren.
    Fehl am Platz. Als ob ich nicht dazugehörte.
    Beim Anblick all der Leckereien, die da vor mir standen, quälte mich permanent mein schlechtes Gewissen. Zu genau wusste ich, dass meine Kameraden im Einsatz nach wie vor hungrig ins Bett gehen mussten. Gleichzeitig konnte ich gar nicht mehr aufhören zu essen. Endlich konnte ich ja essen, was und wie viel ich wollte - reiner Luxus war das.
    Wir saßen lange zusammen, plauderten, lachten und merkten gar nicht, wie die Zeit verging. Es war bereits früher Nachmittag, als ich mich verabschiedete und alleine in meine Wohnung zurückfuhr.
    Ein Blick in den Kühlschrank: leer - ich musste einkaufen. Mehr als eine Stunde lang zog ich staunend durch die Gänge eines großen Supermarkts und packte den Einkaufswagen immer voller und voller.
    Abends traf ich mich mit meiner ältesten Freundin Sonja. Sie kannte ich, seit ich elf Jahre alt war. Sonja saß an einem Holztisch
in der Kneipe, in der wir uns verabredet hatten. Bei meinem Anblick sprang sie wie von der Tarantel gestochen auf.
    Wieder Umarmungen, die nicht enden wollten, nicht enden konnten. Wir hatten uns wieder. Nichts anderes zählte mehr.
    Wir unterhielten uns, das heißt: Sonja erzählte, was sich in den letzten Wochen in unserem Freundeskreis so alles getan hatte. Ich aber hielt mich bedeckt. Wieder spürte ich, dass ich über das, was im Kosovo geschehen war, nicht reden wollte - oder vielmehr nicht reden konnte.
    Später, auf dem Heimweg, war ich erstaunt, wie glücklich die Menschen in Deutschland aussahen - kein einziges hartes Gesicht, das blanken Hass ausstrahlte. Keine Angst um das eigene Leben. An diese Ruhe, an den Frieden, musste ich mich erst wieder gewöhnen.
    Wenn es denn möglich war …

Die Summe der Liebe in deinem Leben
ist das Ergebnis aus den Berührungen,
die du empfangen hast -
abzüglich der Küsse,
die du gerne vergeben hättest,
und multipliziert mit den Wünschen,
die du an das Leben hast.
    12.
    Am nächsten Tag setzte ich mich ins Auto und fuhr die knapp sechzig Kilometer nach Diepholz. Bis zum Ende der vier Jahre, für die ich mich verpflichtet hatte, waren es noch gut sieben Monate, und für diese Zeit sollte ich in meine Stammeinheit zurückkehren.
    Allerdings tauchte ich in Diepholz in Zivil auf. Mein Spieß war überrascht.
    »Was ist los, Frau Matijević?«, fragte er, nachdem er mir die Hand gegeben und mir einen Stuhl zugeschoben hatte.
    Ich beschloss, ehrlich zu antworten. »Es war mir leider unmöglich, die Uniform anzuziehen«, sagte ich und setzte mich.
    »Wie darf ich das verstehen?«, fragte er und wirkte ernsthaft besorgt.
    Es war nicht so, dass ich mich am Morgen etwa nicht nach Vorschrift einzukleiden versucht hätte, doch als ich im Bad nach dem khakifarbenen T-Shirt griff, das jeder Soldat unter dem Flecktarnanzug trägt, schlug mir plötzlich mit einer solchen
Wucht der Geruch nach Tod und Verwesung entgegen, dass ich Mühe hatte, mich auf den Beinen zu halten. Obwohl die Sachen frisch gewaschen waren und nach Weichspüler dufteten, war dieser Geruch dermaßen präsent, dass ich zu taumeln begann. Ich war nicht einmal mehr in der Lage, den Stoff anzufassen, ohne mich verseucht zu fühlen.
    Nachdem ich meinem Spieß geschildert hatte, was

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