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Mit der Hoelle haette ich leben koennen

Titel: Mit der Hoelle haette ich leben koennen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Matijevic
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entkommen.
    Ab und zu, etwa alle drei bis vier Tage, konnte ich vier, fünf Stunden lang schlafen. Das ging allerdings nur, wenn es hell war. Nachts, in der Dunkelheit, suchten mich schreckliche Erinnerungen heim.
    Zu der Schlaflosigkeit gesellten sich immer häufiger zermürbende, alles dominierende Kopfschmerzen, die mir schier die Sinne raubten. Es waren Schmerzen, mit denen ich zwar existieren, aber nicht wirklich leben konnte. An sicherlich fünf von
sieben Tagen lag ich flach, konnte nicht mal aufstehen. An guten Tagen konnte ich immerhin gehen, stehen und sprechen, an schlechten schaffte ich es nicht mal alleine bis zur Toilette. Ich brachte keinen Bissen herunter, kein Wort kam mir über die Lippen.
    Wenn wieder einmal gar nichts mehr ging und mein Flüssigkeitshaushalt völlig aus dem Lot war, so dass ich zu dehydrieren drohte, rief ich meine Mutter oder meine Schwester an.
    »Kannst du bitte vorbeikommen? Mir geht’s nicht so gut«, sagte ich, mich für mein Unvermögen schämend. Es war ganz und gar nicht schön, mit fünfundzwanzig Jahren von anderen Menschen abhängig zu sein und sie, auch wenn es die nächsten Verwandten waren, mit meinen Problemen zu belasten.
    Meine Mutter - und auch meine Schwester - zögerten in all den Jahren keine Sekunde. Sie fragten nicht nach, sie gaben mir keine Ratschläge, sie vermieden das Thema, doch sie waren immer für mich da und sorgten für mich.
    Mehr als einmal kam es vor, dass ich versuchte, ohne fremde Hilfe aufzustehen und mir etwas zu trinken oder, was selten genug war, zu essen zu holen. Doch allzu oft endeten diese Versuche ungut - blutend und bewusstlos lag ich auf den Fliesen, bis jemand vorbeikam und den Notarzt alarmierte.
    Bei den anschließenden Aufenthalten im Krankenhaus wünschte ich mir einen Blitz herbei, der mich auf der Stelle erschlagen sollte. Herbeigesehnt habe ich auch, genügend Kraft zu haben, um mit voller Wucht mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen. Dann hätte dieser menschenunwürdige Zustand endlich ein Ende, und ich könnte so etwas wie Ruhe finden …

    Als der Januar sich dem Ende zuneigte, fuhr ich wieder nach Diepholz.
    »Was jetzt, Spieß?«, fragte ich meinen Vorgesetzten.
    »Ich habe mir schon ein paar Gedanken vorab gemacht«, sagte er zu meiner Überraschung. »Gern würde ich Sie nach Hamburg schicken. Dort ist Doktor Biesold, ein hoch angesehener Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Er leitet im dortigen Bundeswehrkrankenhaus eine Abteilung, die sich mit PTBS beschäftigt.«
    Etwa vierzehn Tage später hatte ich einen Termin bei Oberstarzt Dr. med. Karl-Heinz Biesold.
    Der empathische Mediziner mit der schmalen Brille und dem leicht ergrauten Schnurrbart schaffte es im Nu, mein Vertrauen zu gewinnen. Wir verbrachten zwei Stunden miteinander, in denen er vor allem zuhörte. Er hatte eine gelassene Art, die viel Verständnis vermittelte.
    Alleine mithilfe seiner Blicke konnte Dr. Biesold mich ermutigen, ihm all die schlimmen Erlebnisse zu schildern. In nur zwei Stunden entlockte er mir mehr Details, als ich bis heute anderen Menschen anzuvertrauen mochte.
    Ich erzählte ihm von dem kleinen Ivica, den sein Peiniger in meinem Beisein erschossen hatte, von den beiden Mädchen, die vor meinen Augen auf eine Mine getreten waren, von dem Jungen, der in meinen Armen gestorben war und dessen Eltern ich die Todesnachricht hatte überbringen müssen. Und ich erzählte Dr. Biesold von all den vielen Dingen, die auf den ersten Blick vielleicht banal erscheinen mochten, die aber in mir ein Chaos überirdischen Ausmaßes angerichtet hatten.
    Schon damals fragte mich Dr. Biesold etwas, was auch heute, zehn Jahre danach, noch immer ein Gesprächspunkt ist, zu dem wir nach wie vor zurückkehren.
    »Warum sind Sie so hart sich selbst gegenüber?«
    Bis heute habe ich keine Antwort auf diese Frage.
Dass die Bundeswehr aufgrund von Dr. Biesolds Diagnose eine sogenannte Wehrdienstbeschädigung bei mir anerkannte, war nur der erste und kleinste Schritt auf meinem langen verschlungenen Weg durch die deutsche Bürokratie, die mir mit Ablehnung, wenn nicht gar mit Verachtung begegnete.
    Ich habe nie nach Auszeichnungen oder Anerkennung gesucht. Mir hätte es gereicht, wenn man mir Respekt entgegengebracht hätte. Respekt für das, was ich im Kosovo erlebt hatte.
    Aber danach suche ich bei den Bürokraten wie anderswo bis heute vergebens.

Weinen können ist ein Geschenk,
das Gott den Menschen machte,
als er Schönheit erschuf.
    13.
    Da

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