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Mit der Hoelle haette ich leben koennen

Titel: Mit der Hoelle haette ich leben koennen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Matijevic
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ich beim Ankleiden empfand, holte ich aus, um ihm zumindest in groben Zügen zu berichten, was ich alles gesehen, erlebt und überlebt hatte. Zum ersten Mal seit meiner Rückkehr redete ich über das Erlebte. Der Damm schien gebrochen. Die Worte flossen nur so aus mir heraus, ich kam mit dem Luftholen kaum mehr nach.
    »Das ist ja schrecklich!«, murmelte der Spieß immer wieder.
    Wir tranken Kaffee um Kaffee, und der Spieß hörte zu und seufzte. Schließlich sagte ich: »Ich schätze, dass ich nie mehr in der Lage sein werde, eine Uniform zu tragen.«
    Daraufhin meinte er: »Ich habe ja den Krieg nie selbst erlebt. Vielleicht sollten Sie sich mit jemandem unterhalten, der Ihnen weiterhelfen kann. Oder Sie zumindest besser versteht.«
    »Ich bin für jede Hilfe dankbar«, sagte ich.

    Anderntags saß ich mit zehn Kameraden in einem Bus, der mich ins Bundeswehrkrankenhaus nach Hamm fuhr. Mein Spieß war ein Mann der Tat. Er hatte nicht lange gefackelt, sondern mir umgehend einen Termin bei einem Spezialisten besorgt. Bei dem galt es zu beweisen, dass es mir nach dem Einsatz erheblich schlechter ging als vorher. Dass mein Leben vollends zu entgleisen drohte. Dass ich in meinem Zustand nur bedingt lebenstauglich war.

    Auf der Fahrt ins Krankenhaus wäre ich beinahe eingeschlafen, denn in der Nacht hatte ich erneut kein Auge zugetan. Ich hörte eine Platte von Curse, der so plastisch über Krieg rappen kann, ohne ihn je am eigenen Leib erfahren zu haben. Curse schien der einzige Mensch zu sein, der meine Schmerzen ahnte, der meine Sprache sprach. Von ihm fühlte ich mich verstanden.
    Während ich den Kopf an die Scheibe lehnte, rappte Curse in mein Ohr:
    Nichts wird mehr so sein, wie es war,
niemand wird so bleiben, wie er war.
Vielleicht sehen wir vieles jetzt klar -
vielleicht nicht,
aber nichts wird mehr so sein, wie es war.
In Hamm angekommen, meldeten wir uns als Erstes bei einem furchtbar schlecht gelaunten, unmotivierten Soldaten. Missmutig blickte er von seiner Zeitung auf und bedeutete mir mit einem Nicken, ich solle mein Anliegen vortragen.
    »Hallo, Daniela Matijević mein Name«, sagte ich freundlich. »Der Spieß meiner Einheit hat mich hergeschickt. Ich soll mich mit einem Psychologen unterhalten.«
    »Aha«, erwiderte er nur und sah widerwillig in einer Liste nach. Hatte er mich in eine Schublade gesteckt, eine Schublade mit der Aufschrift »Psycho«?
    Wort für Wort erklärte er mir das Prozedere, das nun anstand. Mir war nicht ganz klar, ob er mich für geisteskrank oder zurückgeblieben hielt, jedenfalls redete er mit mir wie mit einer Dreijährigen.
    »Ich bin Kriegsheimkehrerin und keine Schlaganfallpatientin«, sagte ich, während der Zorn in mir hochstieg. »Sie können mit mir ruhig wie mit einem zivilisierten Menschen sprechen.«

    Pikiert klatschte er einen Fragebogen auf den Tisch. »Sie müssen erst das hier ausfüllen«, sagte er und widmete sich wieder seiner Zeitung.
    Nachdem die Formalitäten erledigt waren, teilte er mir mit, dass ich mich in der FU 6 einzufinden hätte.
    Ich irrte durch die modrigen, ungelüfteten Gänge, die nach zerstörten Hoffnungen rochen und aussahen, als hätten sie eben erst den Zweiten Weltkrieg überstanden. Aus den Zimmern, die von den Fluren abgingen, drang entweder leise Musik oder das Geräusch eingeschalteter Fernseher. Alles schien trist, unsagbar lieblos und trostlos.
    Ich dachte: Wenn man nicht ohnehin schon depressiv ist, wird man es hier auf jeden Fall.
    Nervös lief ich die langen Gänge entlang und fragte mich, ob ich tatsächlich hierhergehörte. Hoffentlich nicht, dachte ich - da stand ich auch schon vor dem Sekretariat der FU 6.
    Als ich eintrat, wies der diensthabende Soldat bloß mit einem kurzen Nicken in die Warteecke. Geschlagene eineinhalb Stunden ließ er mich dort ausharren.
    Die Situation erschien mir wie eine Kapitulationserklärung, die mein Verstand unterzeichnet hatte. O Gott, dachte ich, bin ich wirklich verrückt, brauche ich wirklich einen Irrenarzt?
    »Frau Matijević, bitte«, sagte ein Mann, der seinen Kopf aus der Tür steckte.
    Ich war überrascht, dass mir ein Zivilist gegenüberstand, mit gepflegten Händen, in eine angenehm duftende Rasierwasserwolke gehüllt. Wir unterhielten uns eine Stunde lang. Es war ein intensives Gespräch. Der Mann war sehr engagiert und verständnisvoll, ein echter Psychologe.
    Es tat gut, über den Kosovo sprechen zu können und zumindest im Ansatz etwas von der Last loszuwerden.
    Er stellte

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