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Mit der Hoelle haette ich leben koennen

Titel: Mit der Hoelle haette ich leben koennen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Matijevic
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oft cool tat, war ihm doch anzumerken, wie sehr er sich darüber freute, mich gesund in der Zivilisation ankommen zu sehen.
    Der Kombi verschwand in der Nacht.
    Ich schaute hoch in den ersten Stock und atmete die kalte Abendluft tief ein. Dann schulterte ich den Rucksack und schloss die Haustür auf, die kein einziges Einschussloch aufwies. Ohne Eile stieg ich hoch, genoss jede einzelne Treppenstufe. In meiner Wohnung - vollkommene Stille.
    Ich sah mich um: achtundfünfzig Quadratmeter - so viel Platz.
    Vorsichtig öffnete ich die Tür zum Wohnzimmer. Ein Licht brannte. Ich trat ans Sofa, auf dem meine Freundin eingeschlafen war, während sie auf mich gewartet hatte. Der Fernseher lief leise, auf dem Tisch stand ein Glas Wein. Sie lag seelenruhig da, eingewickelt in eine Decke. Ich beugte mich über sie, betrachtete sie, nahm diesen friedlichen Moment in mich auf. Dann legte ich ihr vorsichtig eine Hand auf den Rücken, um sie zu wecken.
    Sie schlug die Augen auf, sprang auf die Füße, fiel mir um den Hals und begann mein Gesicht mit unzähligen Küssen zu bedecken.
    Ich lachte.
    Ich bin ein Phänomen, denn ich rieche nicht, nicht unangenehm zumindest. Selbst wenn ich schwitze und tagelang nicht geduscht habe, rieche ich nicht schlimm. So passierte es lediglich ein einziges Mal, dass ich die folgenden Worte hören musste - nämlich jetzt:
    »Schatz, du stinkst«, sagte meine Freundin freundlich, aber bestimmt.

    Ich duschte eineinhalb Stunden lang. Mitten in der Nacht und in totaler Dunkelheit. Der Mond stand hell am Himmel, als ich schrumpelig wie eine Rosine aus der Duschkabine trat und einen Blick aus dem Fenster warf. Alles friedlich. Ich trocknete mich langsam ab, genoss die Stille.
    Im frisch bezogenen Bett nahm ich meine Freundin fest in den Arm. Während sie neben mir schlief, starrte ich, kaputt von Flug und Fahrt, an die Decke und wartete darauf, dass mich der Schlaf übermannte.
    Doch der Schlaf kam nicht.
    Sobald ich die Augen schloss, war ich erneut im Kosovo, wo es tobte. Ruhe - das war ein Zustand, an den ich mich nicht mehr erinnern konnte. Den ich nicht mehr herzustellen wusste.
    In dieser Nacht stellte sich zum ersten Mal ein Zustand ein, der sich nie wieder abmildern, geschweige denn gänzlich verschwinden sollte: Rastlosigkeit …
    Ich schlief kein bisschen. Gerädert stand ich am nächsten Morgen vor dem Kleiderschrank, auf der Suche nach zivilen Klamotten.
    »Na, kannst du dich nicht entscheiden?«, fragte meine Freundin belustigt.
    »Du kannst dir gar nicht vorstellen, was für eine Auswahl so ein Kleiderschrank bietet, wenn du drei Monate lang beinahe ausschließlich Uniform getragen hast«, antwortete ich.
    Ich hätte alles anziehen können. Tanktop mit kurzer Hose? Kein Problem. Latzhose mit Ringelshirt? Gerne! Badeanzug mit Schwimmflossen? Wunderbar! Daniel-Poole-Shirt mit Vintage-Jeans? Ja, das war der Look des Tages.
    Auf dem Weg zum Frühstück mit meiner Familie genoss ich den vor sich hin plätschernden Verkehr. Nicht einmal der BMW-Fahrer, der ohne zu blinken die Spur wechselte und mich dabei hart schnitt, konnte mich an diesem Morgen aufregen.

    Fünf Minuten vor der vereinbarten Zeit kamen wir am Haus meiner Schwester und meines Schwagers an. Ich blieb noch einen Moment sitzen und genoss die vertraute Umgebung.
    Als meine Schwester Danica die Haustür öffnete, fiel mein Blick auf die Treppe zum ersten Stock, die Danica gemeinsam mit meiner Nichte Viktoria liebevoll dekoriert hatte. Auf einem großen Pappschild über der Treppe stand in mädchenhafter Schrift: »Herzlich willkommen!«
    Danica ist, ganz wie meine Mutter, kein Mensch, der emotional überschäumt, doch sie zeigt einem auf dezente Weise ihre bedingungslose Liebe - ohne viele Worte oder Tamtam.
    Wir fielen uns in die Arme.
    Viktoria rannte herbei und sprang überschwänglich auf mich zu. Sie wies mir auch einen Platz am Frühstückstisch zu, den sie mit einem eigens für mich besorgten Essensset, mit einer Karte und mit Luftschlangen geschmückt hatte.
    Meine Nichte strahlte. Ich auch.
    Meine Schwester verschwand kurz im Schlafzimmer, um Sekunden darauf mit einem verschlafenen, missmutig dreinblickenden Bündel auf dem Arm zurückzukommen - meinem Neffen Nikolas Josef, der an jenem Tag zur Welt gekommen war, an dem ich im Kosovo ankam.
    Vorsichtig nahm ich das Bündel an mich und sah in Nikolas’ kleines Antlitz. So zärtlich wie möglich streichelte ich ihm über den Kopf und wollte ihm gerade einen Kuss auf die Stirn

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