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Mit der Hoelle haette ich leben koennen

Titel: Mit der Hoelle haette ich leben koennen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Matijevic
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mir einige sehr konkrete Fragen.

    »Leiden Sie an Muskelverspannungen?«
    »Nicht dass ich wüsste«, sagte ich verwundert - worauf wollte er hinaus?
    Die nächsten Fragen musste ich alle mit einem Ja beantworten:
    »Haben Sie Schlafprobleme?«
    »Haben Sie Alpträume vom Einsatz?«
    »Haben Sie das Bedürfnis, sich von anderen Menschen zurückzuziehen?«
    »Leiden Sie an Stimmungsschwankungen?«
    »Machen Sie sich Vorwürfe?«
    »Ich erkenne mich nicht wieder«, erklärte ich dem Psychologen. »Ich kann nicht schlafen. Ich werde grundlos aggressiv, esse unkontrolliert und habe rasende Kopfschmerzen. Aber das Schlimmste ist, dass ich mich für alles, was mir dort zugestoßen ist, schuldig fühle.«
    Er fragte weiter: »Meinen Sie, dass Sie zu irgendeinem Zeitpunkt etwas an den Zuständen dort hätten ändern können?«
    Natürlich nicht.
    Mir leuchtete ein, dass ich keine Schuld trug. Und trotzdem …
    Der Psychologe schaute mich lange an und resümierte: »Frau Matijević, all das, was Sie im Kosovo erlebt haben, war sehr grausam. Ihr Körper wehrt sich gegen die Erinnerungen, die Sie immer wieder in die Situation zurückgehen lassen. Sie haben eine Posttraumatische Belastungsstörung, PTBS genannt.«
    Da war es. Eine Diagnose. Diese Diagnose.
    Posttraumatische Belastungsstörung? Was, um Himmels willen, soll das sein?, fragte ich mich. Von dieser Art Störung hatte ich noch nie etwas gehört. Ich bat um eine Erklärung. Er sagte: »Laut Weltgesundheitsorganisation ist das eine ›Reaktion auf ein außergewöhnlich belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer mit außergewöhnlicher Bedrohung
oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde‹.«
    Das klang erstmal sehr theoretisch.
    »Wie äußert sich das genau?«, fragte ich, denn ich war mir immer noch nicht sicher, ob die Diagnose überhaupt zutraf.
    Der Psychologe schenkte sich ein Glas Wasser ein und bot mir ebenfalls eines an, ehe er weiterredete.
    »Nun ja, es gibt einige Symptome, an denen man das ganz gut festmachen kann. Dazu gehören Alpträume oder sogenannte Flashbacks, in denen das traumatische Ereignis nochmal durchlebt wird, und zwar immer und immer wieder. Außerdem Erinnerungslücken. Das heißt, die traumatisierten Personen können das Erlebte zeitlich nicht mehr richtig einordnen, vermischen Details verschiedener Erlebnisse und versuchen obendrein, Situationen zu vermeiden, die sie an das Trauma erinnern könnten.«
    Das kam mir sehr bekannt vor.
    »Was ist mit Nervosität und Reizbarkeit?«, fragte ich.
    »Das sind ebenfalls ganz typische Anzeichen. Genau wie Angstzustände, Depressionen, Antriebs- und Lustlosigkeit und im Extremfall Selbstmordgedanken.«
    Ich schluckte.
    So weit ging es bei mir zum Glück nicht, doch von den anderen Punkten trafen erschreckend viele zu.
    »Sie dürfen nicht vergessen, dass die Seele der traumatisierten Menschen schwer verletzt ist. Die PTBS muss übrigens nicht zwingend unmittelbar nach dem traumatischen Ereignis auftreten, manchmal kommt es dazu erst Wochen, Monate oder sogar Jahre später.«
    Ich bohrte weiter: »Sind denn hauptsächlich Soldaten davon betroffen?« Ich wollte alles wissen, alles, was sich von diesem Psychologen, der unglaublich gut erklären konnte, erfahren ließ.

    »Nicht unbedingt«, antwortete er. »Betroffen sind unter anderem Rettungskräfte, die bestimmte Einsätze nicht verkraftet haben, Polizisten, die im Dienst schießen mussten, und eben Soldaten, die im Einsatz entsetzliche Dinge erlebt haben. Eine PTBS sucht gewöhnliche Menschen heim, die vollkommen ungewöhnliche Situationen zu verarbeiten haben.«
    Zum Abschied befreite mich der Psychologe für insgesamt acht Wochen, also bis Mitte Januar 2000, vom Dienst und wünschte mir alles Gute.
    In der folgenden Nacht, genau wie in unzähligen weiteren Nächten, fand ich keinen Schlaf, sondern wälzte mich nur todmüde von einer Seite auf die andere.

    Ganz wie mir der Psychologe geraten hatte, war ich die kommenden Tage und Wochen damit beschäftigt, meine Akkus wieder aufzuladen, mich auszuruhen und ausschließlich positive Dinge zu erleben. Mein Ziel war, das Leben wieder wie ein ganz normaler Mensch genießen zu können. So shoppte ich mit Freundinnen oder meiner Schwester, wobei ich mir jede Menge unnützes Zeug kaufte, spielte viel mit meiner Nichte und meinem kleinen Neffen, verbrachte viel Zeit mit Lesen - alles nur, um der Hölle in meinem Kopf zu

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