Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Mit der Hoelle haette ich leben koennen

Titel: Mit der Hoelle haette ich leben koennen
Autoren: Daniela Matijevic
Vom Netzwerk:
aufs Spiel zu setzen.
    Es sollte ein weiteres Jahr vergehen, bis ich endlich den Mut fand, all das in Worte zu fassen, was mir Nacht für Nacht in der Seele brannte. So schrieb ich erst im Sommer 2009 meine Erlebnisse auf.
    Das Ergebnis leitete ich an Tobias Zick weiter, zu dem ich die Verbindung nie verloren hatte, und er gab es an einen Literaturagenten weiter. Zeitgleich verschickte ich mein Manuskript an einige andere Menschen. Mein Text sorgte im Nu für eine Menge Aufregung. Innerhalb weniger Tage führte ich Telefonate mit dem Bundeswehrverband, wo man behauptete, meine Erlebnisse müssten erfunden sein, denn derlei passiere bei der Bundeswehr nicht, mit dem Reservistenverband, wo man mir sofort Unterstützung anbot, und mit dem Spiegel , dem ich kurz darauf ein Interview gab.
    Es war eine Flucht nach vorn; möglichst vielen Menschen sollte mein Text zugänglich sein. Die große Chance dazu bekam ich, als ich am 13.Oktober 2009 eine Lesung im Osnabrücker Lutherhaus hielt. Der Hausleiter Ingo Lohr war sich durchaus bewusst, dass das von mir vorgetragene Material hochexplosiv war, entschloss sich aber dennoch, mich zu unterstützen.
    Am Abend der Lesung schwankte ich zwischen Aufregung und dem sicheren Gefühl, das Richtige zu tun. Das Adrenalin sprudelte, ich stand total unter Strom, doch die Menschen, die meinetwegen aus ganz Deutschland angereist waren, verliehen mir eine Sicherheit sondergleichen.

    Der Saal war zum Bersten voll, als ich zitternd auf die Bühne stieg. Neben meiner Familie und einigen engen Freunden entdeckte ich meine damalige Therapeutin Anna, Ulrike Demmer vom Spiegel , Holger und Angelika.
    Mit zitternden Händen begann ich zu lesen, und augenblicklich wurde es ruhig. Ich war konzentriert, die Leute hörten mir zu. Leicht hätte man die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören können.
    Als ich zwischendurch einmal tief Luft holen musste, ertönte aber aus dem Publikum ein Zwischenruf.
    »Die Welt braucht Menschen wie dich. Menschen, die sich trauen, die Wahrheit auszusprechen«, rief einer der Anwesenden und bat: »Lies bitte langsamer, wir wollen alles verstehen.«
    Gern kam ich der Bitte nach.
    Nach dem letzten Satz des Textes ließ ich die Hände sinken und blickte ins Publikum.
    Nichts.
    Kein Wort.
    Keine Regung.
    Sekundenlang war der Saal in absolute Stille getaucht. Dann brauste ohrenbetäubender Applaus auf. Die Zuhörer erhoben sich begeistert von ihren Plätzen.
    Ich war benommen.

Du kannst einen Soldaten
aus dem Krieg nehmen,
aber den Krieg
nie wieder aus dem Soldaten!
    19.
    Samstag, der 24. April 2010, halb sechs Uhr abends. Vor kurzem bin ich in eine schöne, große neue Wohnung umgezogen, nun blicke ich aus dem Arbeitszimmer auf einen Garten. Die Sonne scheint. Der Rasen müsste dringend mal gemäht werden, fällt mir auf, doch dafür habe ich momentan keine Zeit.
    Es ist erstaunlich, was sich im letzten halben Jahr in meinem Leben alles ereignet hat. Die Arbeit an meinem Buch ist so gut wie abgeschlossen, vieles hat sich zum Guten - oder vielmehr: in eine bessere Richtung gewendet. Nicht alleine durch mich ist den Menschen in diesem Land Unbekanntes oder auch nur Unangenehmes greifbar geworden, so dass sie nicht mehr umhinkönnen, über Dinge zu diskutieren, die bis vor kurzem noch tabu schienen.
    In Afghanistan sind bei Feuergefechten in den vergangenen Wochen sieben deutsche Soldaten ums Leben gekommen. Die offizielle Todesursache lautet zum ersten Mal in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte: »Tod durch Schussgefechte«, denn
die Soldaten sind einem Anschlag zum Opfer gefallen. In der Erklärung des Bundesverteidigungsministers heißt es, die Soldaten seien »im Einsatz für den Frieden gefallen«.
    Die Toten, die unser Land bei Auslandseinsätzen bisher zu beklagen hatte, waren alle bei Unfällen ums Leben gekommen. Nun müssen viele Menschen in Deutschland umdenken und sich der Tatsache stellen, dass jene Soldaten, die tagtäglich ihr Leben fürs Vaterland aufs Spiel setzen, im Kriegseinsatz sterben mussten.
    Es macht mich sprachlos und wütend zugleich, wie auf einmal nahezu alle in Politik und Medien Mitleid heucheln. Nein, dies sind nicht die ersten Soldaten, die im Zinnsarg nach Hause zurückkehren - nein, es gab davor schon welche. Noch eine Frage drängt sich auf: Was bitte geschieht mit all den noch lebenden Männern und Frauen, die körperlich unversehrt aus einem Einsatz in Afghanistan zurückgekehrt sind oder noch zurückkehren werden? Nach den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher