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Mit der Hoelle haette ich leben koennen

Titel: Mit der Hoelle haette ich leben koennen
Autoren: Daniela Matijevic
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wurde ich erst, als Oberstarzt Dr. Karl-Heinz Biesold, der mich 1999 in Hamburg behandelt hatte, in dem Artikel zu Wort kam.
    Neugierig las ich, was Dr. Biesold zu berichten hatte, und wurde starr: Er erzählte von einer jungen Rettungssanitäterin aus Niedersachsen, die mit ansehen musste, wie zwei kleine Mädchen auf eine Mine traten und detonierten.
    Das gibt es doch nicht, dachte ich. Das gibt es nicht, dass diesem unglaublich kompetenten Mann, der sicher Unmengen von
Leidensgeschichten zu hören bekam, ausgerechnet mein Erlebnis selbst nach so vielen Jahren nicht aus dem Kopf ging.
    Weder nahm ich die Kellnerin wahr, die die Bestellung aufnehmen wollte, noch hörte ich die Geräusche um mich herum. Der Lärm, der mich so manches Mal davon abgehalten hatte, in diesem Café zu frühstücken, schien auf einmal meilenweit entfernt.
    Wie besessen las ich wieder und wieder die Äußerungen von Dr. Biesold.
    Anstatt etwas zu bestellen, erklärte ich der verwirrten Kellnerin, dass ich dringend wegmüsse - und rannte zu meinem Auto, blind für meine Umgebung.
    Zu Hause angekommen, rief ich in der Redaktion von Neon an und verlangte nach dem Autor des Artikels, der sich auch prompt meldete.
    »Daniela Matijević mein Name«, sagte ich. »Ich habe heute Ihren Artikel über den ehemaligen Soldaten Holger S. gelesen. Die Soldatin, von der Oberstarzt Dr. Biesold erzählt, das bin ich.«
    Stille am anderen Ende der Leitung. Dann: »Was kann ich für Sie tun?«
    »Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir einen Kontakt zu Holger S. herstellen könnten, den Sie interviewt haben.«
    »Das will ich gerne tun«, sagte Tobias Zick und schob gleich eine Frage hinterher: »Könnten Sie sich vorstellen, mir einmal Ihre eigene Geschichte zu erzählen?«
    Ich schwieg. War ich dazu bereit?
    Dann sagte ich: »Ja. Es wird Zeit, das Schweigen zu brechen.«
    Wir machten einen Termin aus und verabschiedeten uns.
    Keine zwei Stunden später telefonierte ich das erste Mal mit Holger. Uns beiden war von Anfang an klar, dass sich hier zwei Menschen gefunden hatten, die nicht nur die gleichen Bilder und Ängste kannten, sondern auch nicht viele Worte brauchten, um sich zu verstehen.

    Im Unterschied zu mir erlebte Holger seine PTBS in vielen verschiedenen Stadien. In der ersten Phase - Unruhe - fing er an, die Hände zu kneten, im Zimmer auf und ab zu laufen und völlig sinnloses Gefasel von sich zu geben, nur um der Stille keinen Raum zu lassen. In der zweiten Phase - Obacht - spähte er ununterbrochen aus dem Fenster und beobachtete den Luftraum. War er unterwegs, vergewisserte er sich im Abstand von wenigen Minuten, dass er nicht verfolgt wurde. In Phase drei - Panik - warf er sich schon mal unter einen Tisch, damit ihn keine Scud-Rakete treffen konnte - oder er sprang urplötzlich aus der Badewanne, weil er meinte, sich in Sicherheit bringen zu müssen.
    »Wir alle mehr oder minder schwer traumatisierten PTBSler haben eben unseren Knacks weg«, meinte ich zuletzt.
    Zwei Wochen später traf ich mich mit Tobias Zick und der Journalistin Birthe Dannenberg. Das Interview mit mir und Angelika K., meiner ehemaligen Kameradin aus dem Kosovo-Einsatz, dauerte mehrere Stunden. Als ich Angelika von dem geplanten Interview erzählt hatte, war sie sofort bereit, offen über ihr Schicksal zu sprechen. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen schilderten wir also Tobias Zick und Birthe Dannenberg, was uns widerfahren war, wie wir uns fühlten und wie uns die Behörden in Deutschland behandelt hatten. Die beiden Journalisten stellten ihre Fragen ohne jedes aufgesetzte Mitgefühl.
    Bis spät in die Nacht saßen wir zusammen, lachten und litten gemeinsam. Uns war es, als öffneten wir mit diesem Gespräch ein neues Kapitel.
    Beschwingt schloss ich nach diesem Treffen meine Wohnungstür auf - und traf auf ein Bild der Verwüstung. Meine Wohnung war durchsucht worden. Jemand hatte alle Fotos und Notizen von der Pinnwand gerissen. Der Inhalt der Schubladen war durchwühlt worden. Überall lagen Klamotten verstreut, dazwischen Unterlagen.

    Es sollte eine Warnung sein, das ahnte ich sofort. Wer auch immer meine Wohnung derart auf den Kopf gestellt hatte, er wollte mich einschüchtern.
    Aus Angst, meiner Familie könnte etwas zustoßen, zog ich die Druckerlaubnis für das Interview gleich am nächsten Tag zurück. Auch wenn ich es für sehr wichtig hielt, dass endlich mal einer Klartext redete - die Angelegenheit war es nicht wert, das Leben von geliebten Menschen
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