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Mit der Hoelle haette ich leben koennen

Titel: Mit der Hoelle haette ich leben koennen
Autoren: Daniela Matijevic
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Kampfkunst. Bereits nach zwei Tagen wählte man mich zur Patientensprecherin. Jetzt hatte ich eine Aufgabe.
    Zwar verstand ich mich mit den Patienten ganz gut, doch fühlte ich mich ihnen nicht zugehörig. Wie auch? Ich traf eine Frau, die zwischen dreißig Persönlichkeiten wechselte. Eine andere verletzte sich immerzu selbst. Eine dritte hatte einen Waschzwang, die nächste litt als Transsexuelle unter Diskriminierung.
    Und mittendrin ich.
    Posttraumatisiert.
    Ich gehörte nicht zu ihnen. Nicht, dass ich mich geschämt hätte, ein Teil von dieser Gruppe zu sein. Nein. Doch ich tickte anders …
    Unter anderem war ich deshalb in gerade diese Klinik gekommen, weil die Ärzte dort versuchen wollten, mir mithilfe von Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) - einer Behandlungsmethode für Traumatisierte - beizukommen. Beim EMDR regt der Therapeut bestimmte Augenreflexe an, die dem Patienten helfen sollen, unverarbeitete traumatische Inhalte besser zu bewältigen.
    Bei mir ging es vor allem um das Erlebnis mit Ivica. Immer noch hatte ich einen totalen Blackout, was die Stunden nach dem Mord an dem Jungen betraf. Nach drei Sitzungen sah ich zwar etwas klarer, erinnerte mich sogar bruchstückhaft, doch Ivicas Tod war für mich noch schwerer zu ertragen, als nichts über all das zu wissen, was danach geschah. Nach wie vor konnte ich mir nicht verzeihen, nach wie vor lud ich alle Schuld auf mich. Das EMDR erweckte bei mir etliches zum Leben, das mir nicht mehr
bewusst war - und das warf mich, was die Verarbeitung des Geschehenen betraf, um Jahre zurück.
    Außerdem ergab sich durch den Klinikaufenthalt noch ein ganz anderes Problem, das mein Leben nachhaltig und gravierend beeinflussen sollte. Da sie meinen Schmerzen auf andere Weise nicht beikommen konnten, stellten mich die Klinikärzte auf Opiate ein. Ich musste dreimal täglich zwanzig Milligramm einnehmen - und tatsächlich ging es mir damit sehr viel besser. Zunächst jedenfalls. Jede Medaille hat allerdings eine Kehrseite, und die hieß in meinem Fall: Medikamentenabhängigkeit.
    Viele chronische Schmerzpatienten gewöhnten sich im Laufe der Zeit an ihr Medikament. Doch der Druck, nicht mehr ohne Schmerzmittel leben zu können, kann genauso frustrierend und zermürbend sein wie der Schmerz, der mit diesen Schmerzmitteln unterdrückt werden soll …
    Bei dem Entlassungsgespräch, das die Chefärztin mit mir führte, sagte sie: »Sie sind hier im Haus die psychisch gesündeste Person, Ihnen ist nur furchtbar wehgetan worden.«
    Damit traf sie ins Schwarze, denn so fühlte ich mich auch: an der Seele verletzt.
    Nach sechzehn Wochen verließ ich die Klinik in der Gewissheit, zwar PTBS zu haben, aber psychisch auf der Höhe zu sein - und um eine Abhängigkeit reicher.
    Über die Zeit in der Klinik sprach ich mit meiner Familie nicht, kein Wort. Doch hofften meine Mutter und meine Schwester nach wie vor, bald schon die alte Daniela zu sehen.
    Ich hoffte mit ihnen.
    Erst aber musste ich wieder in den Alltag zurückfinden. Einkaufen, putzen, duschen, essen, atmen - allein das schon fiel mir unendlich schwer.

    Menschen, die an PTBS erkrankt sind, weisen eine Ambivalenz auf: Zwar wissen sie, dass die Einzigen, mit denen sie sich wirklich über das Erlebte unterhalten können, die Einzigen, die sie verstehen, die eigenen Kameraden sind, doch schrecken sie vor dem Kontakt mit ihnen zurück.
    Nach dem Kosovo-Einsatz hatte ich sporadisch immer mal wieder Kontakt zu ehemaligen Kameraden. Doch nach einigen wenigen - meist sehr intensiven - Gesprächen zog ich mich dann jeweils zurück. Zwar fühlte ich mich verstanden, oft auch ohne Worte, trotzdem waren und blieben meine Kameraden stumme Zeugen meiner Leiden - so wie ich eine stumme Zeugin ihrer Leiden war und bin. Es war ganz so, als würden sich zwei Magnete erst magisch anziehen, nur um sich kurz darauf umso heftiger abstoßen zu können. So in etwa gestaltete sich auch meine Beziehung zu einem ganz besonderen Kameraden.
    An einem Morgen, es war im August 2008, saß ich in meinem Osnabrücker Lieblingscafé und blätterte in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Neon. Eine Überschrift fiel mir ins Auge: »Wenn der Krieg niemals endet«. Ich las den dazugehörigen Artikel von Tobias Zick wie im Fieber, denn er berichtete von einem deutschen Soldaten im Irak. Vieles von dem, was der Soldat Holger S. aus dem Artikel berichtete, deckte sich haargenau mit meinen Erfahrungen und meinen Befindlichkeiten. Doch nervös
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