Mit der Linie 4 um die Welt
ruhte. Mir bleibt nicht viel Zeit.
Ich steige ein und zahle beim Fahrer. Die meisten zählen ihm das Geld passend hin, wenige haben eine Monatskarte, die piept, wenn man sie vor einen Touchpoint hält. Ich bekomme einen thermokopierten Fahrschein. Der Bus ist voll. Ich höre rechts und links Russisch. Einige Frauen mit ihren altmodischen Kappen und Goldzähnen sehen aus, als wären sie geradewegs vom Roten Platz des Jahres 1981 in die Gegenwart Tel Avivs geflogen. Am Straßenrand wachsen Granatapfelsträucher und Bäume, deren lila Dolden an Flieder erinnern, aber viel feinere Blätter haben. Wie ein Teppich breiten sich die abgefallenen Blüten auf dem Gehweg aus. An den Straßenkreuzungen stehen Fahrräder zum Ausleihen, und alle paar Hundert Meter gibt es einen Käfig am Straßenrand, in dem Plasteflaschen gesammelt werden. Dort, wo die Allenby einen scharfen Knick nach Westen macht und der Bus weiter auf der Ben Yehuda fährt, kann ich zum ersten Mal auf der Strecke das Meer sehen. Vor den Cafés auf der Ben Yehuda ist noch viel los. Viele Menschen sind nur leicht bekleidet, als wären sie vom Strand nur mal kurz rübergekommen.
Ich bin die Einzige, die an der Endhaltestelle Reading aussteigt. Die letzten Passagiere haben den Bus am Hafen verlassen. Dahinter kommen nur noch eine große freie Fläche und eine Brücke über einem schmalen Fluss. Nun stehe ich im Staub, in the middle of nowhere, umgeben von abgestellten Bussen verschiedenster Linien. Eine wüstenähnliche Landschaft öffnet sich, nur in Richtung Osten sind Rasenflächen und Häuser, die wie Bootshäuser aussehen. Ein Passagierflugzeug fliegt über dem Strand im Landeanflug auf den innerstädtischen Flughafen. Im Hintergrund sind die Kühltürme und Schornsteine eines Kraftwerks zu sehen, dahinter erahne ich das Meer. Die Busfahrer haben ein Pausenhäuschen, eingezäunt und stacheldrahtbewehrt, mit einem Gärtchen, in dem eine israelische Fahne hängt. Das Symbol des Busunternehmens Dan sieht aus wie ein Vogel auf Rädern. Nach zehn Minuten kommt ein junger Mann aus dem Pausenraum auf den Bus der Linie 4 zugeschlendert, den Schlüssel für sein Fahrzeug an einem langen Band in der Hand. Er versteht mich nicht, als ich ihn frage, ob er zurückfahre zum Busbahnhof. Mit einer Geste lädt er mich ein einzusteigen, versucht mir aber gleichzeitig zu erklären, dass der 104er eher abfahre. Wie soll ich ihm verständlich machen, dass ich nur mit der 4 unterwegs bin und nicht mit der 104, obwohl ich inzwischen herausbekommen habe, dass 4, 104 und 204 auf derselben Strecke verkehren? Der Busfahrer macht das Radio an und klopft den Takt auf der Geldbox neben seinem Lenkrad.
Ich habe Zeit, mich im Bus umzusehen, und bin überrascht, dass es kaum Sicherungsvorkehrungen gibt, frage mich aber im selben Moment, worin sie bestehen sollten. Eine U-Bahn kann mit einer Sicherheitsschleuse ausgestattet werden, einen Bus aber kann man nicht schützen. Nur die Rückspiegel des Fahrers sind größer, man muss vorne einsteigen, und es gibt Schilder, die darauf hinweisen, dass man auf sein Gepäck achten solle. Wenn ein Gepäckstück übrig bleibt, hatte mir jemand erzählt, wird der Bus geräumt und ein Sicherheitskommando gerufen, das es kurzerhand sprengt. In manchen Bussen sollen Schilder darauf hinweisen, dass Frauen überall sitzen dürfen, seitdem Orthodoxe in den Mehadrin-Bussen sogar per Klage versucht haben, Frauen daran zu hindern, im Bus vorne zu sitzen. Ihr Platz sei hinter den Männern. Die Richter des Obersten Gerichts urteilten im Januar 2011, dass öffentliche Verkehrsmittel Frauen nicht vorschreiben dürften, wo sie zu sitzen hätten. Im Bus auf der Allenby kann man das nicht glauben, die Mädchen sind bei diesem warmen Wetter genauso leicht bekleidet wie überall in Europa, und in der Innenstadt Tel Avivs und am Strand sieht man nur wenige orthodoxe Familien. Auch wenn auffällt, dass es kaum Werbung mit Frauen gibt, die mehr Haut als Stoff zeigen.
Nach zehn Minuten fährt der Bus ab. Wie ein Lumpensammler fährt er von Haltestelle zu Haltestelle und sammelt die trödelnden Nachzügler ein. Die meisten Geschäfte sind inzwischen geschlossen, überall sieht man Leute fegen, vor den Läden, in den Läden, auf den Balkonen. Die Häuser links und rechts der Straße müssen einmal prächtig gewesen sein. Viele sind etwas heruntergekommen, einige unbewohnt, etliche in Renovierung begriffen. In den Seitenstraßen ist viel Bauhaus-Architektur zu sehen,
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