Mit der Linie 4 um die Welt
gleich mit dem Dienstwagen vor dem Sansibar vor. Das war dann doch zu viel, und Grahl wurde ins Referat für Landentwicklung und ländliche Bodenordnung versetzt. Interessant für uns vier Frauen ist, dass er bis 2006 Kanzler der Universität Hildesheim war, die so ganz nebenbei dem Finanzunternehmer Carsten Maschmeyer (»Ein Leben ohne Beziehungen ist wie Tauchen ohne Sauerstoffflasche«) anlässlich seines fünfzigsten Geburtstags 2009 die Ehrendoktorwürde verlieh. Dafür musste allerdings vorher noch die Promotionsordnung geändert werden, denn der gute Mann hatte eine Universität nur für ein Semester von innen gesehen. Er bekam den Titel dann für »ausgezeichnete Verdienste um die Förderung der Wissenschaften«, kurz gesagt hatte er Geld für eine Juniorprofessur gespendet. Man muss nicht erwähnen, dass die Laudatio der damalige Ministerpräsident Niedersachsens und Maschmeyer-Freund Christian Wulff hielt. Angesichts unserer heutigen Linie-4-Fahrt fragen wir uns, ob ein Aufsichtsratsvorsitzender der üstra-Verkehrsbetriebe auch zu diesen berühmten Kungelrunden eingeladen wird oder ob Straßenbahnfahren nicht eher was für Loser ist.
Wir ziehen weiter, in hellere Gefilde. Dorthin, wo es noch mit echter Bildung verdiente Doktortitel gibt. Königsworther Platz zum Beispiel, da steigen die Anzugträger und Zeitungsleser aus.
Melanie: Die, die zusätzlich schwarze Umhängetaschen tragen, sind WiWis – Studierende der Wirtschaftswissenschaften. Die anderen sind der philosophische Rest.
Da wir aber keine Wirtschaftswissenschaftlerinnen, sondern nur Monaden ohne Fenster an Klopstock’schen Eimern sind, fahren wir weiter bis zur Haltestelle Leibniz-Universität.
Maren: Eigentlich Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Universität. Klar, dass das als voller Name auf kein Haltestellenschild passt. Das Hauptgebäude, ein altes Welfenschloss, hat, seitdem hier die Harry-Potter-Generation studiert, den Spitznamen Hogwarts.
So alt ist das alte Schloss nicht; es ist 1866 fertig geworden, justament in dem Jahr, als das Königreich Hannover von den Preußen annektiert und die Welfen entthront wurden. 1879 zog die Königlich-Technische Hochschule ein. Sehr imposant auch die Pferdeskulptur, die dem Tier im Wappen Niedersachsens ähnelt.
Melanie: Vor der Uni liegen Paletten, Rohre, lose Geländer, Holz, und Bauarbeiter wuseln herum. Ein als Froschkönig verkleideter Student läuft unter das Sachsenross, dem die Zunge fehlen soll.
Maren: Als der Bildhauer seinen Fehler bemerkte, habe er sich das vergessene Körperteil herausgeschnitten und dem Pferd eingesetzt. Da die Skulptur das Pferd steigend und auf einem hohen Sockel darstellt, kann die hannoversche Legende nicht überprüft werden .
Der Bildhauer hieß Friedrich Wilhelm Wolff, auch Tier-Wolff genannt.
Maren: Wohlmeinende Zeitgenossen freuen sich, dass der Hengst keine weiteren körperlichen Makel aufweist.
Melanie: Ich finde, dass das Pferd einen entsetzten Blick hat, das Maul halb auf, die Vorderhufe verdreht, den Hals gereckt. Als mache der gegenüberliegende Georgengarten ihm Angst, als mache Hannover ihm Angst.
Die drei wollen nicht in den Park, aber weil ich die Ältere bin, setze ich mich an den Herrenhäuser Gärten durch, und wir unterbrechen die Fahrt. Ich war hier zuletzt 1989. Hannover hat ja schon fast hinter sich, was Berlin noch bevorsteht: den Wiederaufbau des Schlosses als Potemkinsches Dorf. In Hannover ist es nur viel kleiner. Kürzlich hat der Blitz eingeschlagen, und ein Teil der Bausubstanz wurde zerstört. Jetzt dauert der Wiederaufbau länger und wird teurer. Über die zukünftige Nutzung wird noch gestritten.
Ich glaube, es war Maren, die das sagte: Außer der Niki-de-Saint-Phalle-Grotte und der Großen Fontäne scheint vor allem erwähnenswert, dass das Touristenziel Goldenes Tor gar nicht so groß ist, wie es immer auf Fotos den Anschein erweckt, und dass alle Fontänen und Wasserspiele im Laufe des Nachmittags verfrüht abgeschaltet werden.
Da haben wir noch gar nicht alles gekriegt, was uns für die teure Eintrittskarte zusteht. Wir fahren weiter in Richtung Garbsen.
Lena: Am Königsworther Platz steigen die Wirtschaftswissenschaftler aus, an der Schaumburgstraße sind die Architekturstudentinnen mit Entwürfen der Stadt von morgen aus Pappe dran.
Ich wundere mich über die Sowjetfahne, die auf den Beton der Hochschule gemalt ist. Ist das nicht längst aus der Mode gekommen?
Lena: Vom Herrenhäuser Markt bis nach Stöcken säumen
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