Mit der Linie 4 um die Welt
Backsteinfassaden in unbeschreiblichem Dunkelrotbraun die Straße. Die Außenmauer der Herrenhäuser Brauerei geht über in eine uniforme Häuserreihe, die vermuten lässt, dass betrunkene Heimkehrer abends ihren Eingang nicht ohne Probleme finden.
Melanie: Herrenhausen besticht durch seine Bodenständigkeit: Auf der einen Seite gibt es die Bundeskegelbahn am Bahnhof Leinhausen, auf der anderen die zahlreich gestapelten, neuen schwarzen Bierkästen der Brauerei Herrenhausen. Ein kulturell genutzter Bunker und Mehrfamilienhäuser. Was hier als Herrenhäuser Markt bezeichnet wird, besteht aus einem Kiosk, der Schneiderei Roula, vor deren Tür am Mittag die Schneiderinnen sitzen und den Verkehr beobachten, und den Hochflursteigen der Stadtbahn.
Hochflursteige – wer Hochflursteige hat, braucht wohl keine Niederflurbahnen. Nirgendwo auf der Welt, wo ich mit Straßenbahnen unterwegs war, ist mir das Wort Hochflursteig untergekommen. An einigen Haltestellen der hannoverschen Linie 4 werden sie noch gebaut, und die Leute müssen über Provisorien aus Asphalt und Holz einsteigen.
Melanie: Die Schilder in den Reihenhausgärten gegenüber den Haltestellen Herrenhäuser Markt und Bahnhof Leinhausen, auf denen ein durchgestrichener Fußball abgebildet ist, drängen mich dazu, mir einen Ball zu suchen und über den Zaun zu steigen .
Wir haben dann doch anderes zu tun, auch wenn das Fußballverbot und die Fußballbegeisterung, der mit Wimpelchen und Fähnchen und schwarz-rot-goldenen Präservativen (Maren sagt Bikinis dazu) an Seitenspiegeln der Autos und an denen der Straßenbahnen verliehen wird, widersprüchlich scheinen.
Lena: Am Stadtfriedhof Stöcken steigt eine ältere Dame mit kleinem weißem Hund ein. Sie trägt zu ihrer in den Farben der deutschen Nationalflagge gestreiften Schirmmütze ein in denselben Tönen gehaltenes Halstuch und ein bunt kariertes Sakko, was sie zu einer nicht nur patriotischen, sondern auch ungewöhnlich farbenfrohen Erscheinung macht.
Das Torhaus zum Friedhof ist gewaltig und zeigt, was es zu preußischen Zeiten für eine Ehrfurcht vor dem Tod gegeben haben muss. Von Hannover ging es schnurstracks in bessere Gefilde. Heute scheint die Geschäftigkeit drei hier ansässigen Beerdigungsinstituten überlassen. Ansonsten ist alles tot, selbst der Friedhof.
Melanie: Es gibt einen Fahrerwechsel. Glatzkopf gegen Glatzkopf, Rucksack gegen Stoffbeutel, kurzes Zunicken, stummes Schließen der Türen – die Fahrt geht weiter.
Lena: Am Lauckerthof wird die Bebauung dünner, die Bahn fährt nun entlang einer vierspurigen Straße und streift am Jädekamp kurz den äußersten Ring des Continental-Kosmos und damit die vor dem Werkstor gelegenen Parkplätze. Hannover franst aus, keinerlei geografische Gegebenheiten zwingen die Stadt in ihre Grenzen.
»Making tomorrow’s mobility possible today«, wirbt die Global Site von Continental. 2006 habe ich mit Studenten an einem Projekt über die Phoenix-Werke in Hildesheim gearbeitet, eine Gummifabrik, die Airbags herstellte. Sie war 2004 von Continental geschluckt worden. Eine der Pressereferentinnen von Continental, an die ich mich wandte, um etwas über die Übernahmemodalitäten zu erfahren, hieß Bettina Körner, spätere Frau Wulff. Eine Antwort bekam ich nicht.
Maren: Ob all die Autos der Continental-Mitarbeiter auf dem Continental-Parkplatz mit Continental-Reifen bereift sein müssen? Ob es da eine Dienstanweisung oder einen Rabatt gibt? Dasselbe frage ich mich immer bei VW-Werken mit Parkplätzen voller VW.
Auf einmal ist in Stöcken alles grün.
Lena: Vom Wissenschaftspark an der gleichnamigen Haltestelle sind nur lange Zäune vor Bäumen zu sehen.
Maren: Die Pascalstraße zum Beispiel erscheint wie eine Haltestelle mitten im grünen Nichts, wären da nicht die vielen Parkplätze auf der einen Seite, die erst später ins Blickfeld kommen. Danach folgt schon der Mittellandkanal. Dahinter ist Garbsen, das gar nicht zur Stadt Hannover gehört, sondern eigenständig ist. Es wurde erst in den neunziger Jahren an das Straßenbahnnetz der üstra angeschlossen.
Die nächste Haltestelle heißt Friedhof Auf der Horst. Auf der Horst klingt komisch. Ich werfe die Frage bei facebook in die Runde, ob die weibliche Form korrekt sei, und bekomme sofort Antwort: Es gibt sie, im Sinne einer leicht erhöhten, herausragenden und zumeist bewachsenen Stelle in Feuchtgebieten. Beide Endpunkte der Linie 4 liegen in Feuchtgebieten. Hat das etwas zu bedeuten?
Lena: Als
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