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Mit der Linie 4 um die Welt

Mit der Linie 4 um die Welt

Titel: Mit der Linie 4 um die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annett Groeschner
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der Fahrbahn nicht mehr, dass in London der Linksverkehr regiert. Autos versuchen immer wieder, den Bus zu schneiden. Hinter dem Barbican Centre auf der Aldersgate Street, einem Anfang der achtziger Jahre eröffneten Kulturkomplex, in dem auch das London Symphony Orchestra seinen Sitz hat, kommt es zum Showdown: Die Fahrerin, eher ein Muttityp, wird rabiat und legt sich mit einem Toyota-Fahrer an, der ihr die Vorfahrt genommen hat. Die Fahrerin platziert ihren Bus vor der nächsten Ampel neben den Toyoto, lässt ihr Fenster runter und schreit: »Lern fahren, du Beknackter.« Der Fahrer schreit zurück, sie brüllt: »Ja, schrei nur, du Idiot.« Der Idiot lenkt aus Rache den Wagen direkt vor den Bus, der nicht ausweichen kann und nun nur noch im Schritttempo vorwärtskommt. Das will die Fahrerin sich nicht gefallen lassen. Sie setzt ihren Doppeldecker vorsichtig auf die Stoßstange des Toyota und schiebt ihn bis zur nächsten Haltestelle. Wider Erwarten gibt der Toyota-Fahrer auf und verschwindet.
    Wir sind kurz vor Angel, einem Viertel im Bezirk Islington. Ursprünglich war es der Name eines Gasthauses in der Nähe einer Zollstation an der Ecke Islington High Street und Pentonville Road. Das Originalgebäude wurde zur ersten Poststation außerhalb der Londoner City 1819 umgebaut, erwähnt in Charles Dickens’ Oliver Twist. Heute ist eine Bank darin untergebracht. Ein Fahrradfahrer bringt die Busfahrerin erneut in Rage. Er hat zwei Einkaufstüten am Lenker hängen und telefoniert, während er sein Rad ausbalanciert. Dabei rutscht ihm eine Tüte ab und fällt mitten auf die Kreuzung. Eine Flüssigkeit ergießt sich auf die Straße. Das hält ihn aber nicht davon ab, weiter zu telefonieren. Er schafft es, von seinem Rad abzusteigen. Jetzt steht er mitten auf der Kreuzung, Gesicht in Richtung Himmel gewandt, unter sich die Scherben einiger Bierflaschen, und mit der rechten Hand hält er das Fahrrad. Um ihn herum hupen die Autos, vor ihm steht unser Bus. Die Fahrerin zeigt ihm mit dem erhobenen rechten Mittelfinger, was sie von ihm hält. »Selbstmörder«, schreit sie, »mach dich vom Acker oder spring von der Brücke.« Dann kurbelt sie an ihrem schweren Lenkrad und umfährt das Verkehrshindernis, um in die Upper Street einzubiegen. Hier ist alles friedlich, eine nachmittägliche Einkaufsstraße. Mädchen mit goldenen Taschen flanieren, Donuts essend, über die Straße, vorschriftsmäßig auf den Verkehr achtend, ältere Middle-Class-Mums schieben teure Kinderwagen. Alles ist sauber und ordentlich. Es gibt niedrige Häuser aus Ziegelstein mit kleinen Vorbauten, in denen sich Läden der mittleren Preisklasse befinden, Espressobars und Restaurants. Steffen erzählt von einem Freund, der vor ein paar Tagen ansehen musste, wie ein gestrauchelter Fahrradfahrer unter einem Bus verschwand.
    Der Bus überquert die Eisenbahnschienen, die vom King’s Cross Bahnhof kommen. Wir sind in Highbury. Es ist das Fangebiet des Arsenal Football Club, auch wenn das neue, nach dem Hauptsponsor benannte Stadion, Emirates Stadium, sich weiter westlich des Highbury Grove befindet. Hier gibt es Kneipen, die Arsenal Fish Bar heißen oder Kanonen als Logo haben. Arsenal-Hasser aus dem Norden Londons sprechen gerne davon, dass die Mannschaft ja eigentlich aus dem Süden Londons stamme, allerdings ist der Umzug des Clubs schon fast hundert Jahre her. Die Gegend ist nicht reich, die Häuser eher niedrig. In der ersten Szene des Films Vier Hochzeiten und ein Todesfall versucht Hugh Grant vergeblich, ein Taxi an Highbury Corner anzuhalten. Ich glaube, er nimmt danach den Bus, aber ich kann mich auch irren. Die Busfahrerin hupt alles weg, was im Weg steht.
    In der Bahnunterführung der U- und Eisenbahnstation Finsbury Park steigen wir aus. Vor einem Jahr war ich schon einmal in dieser dunklen Unterführung, wo sich der Fanshop des Arsenal Football Club befindet. Mein Sohn war mit mir im 4er-Bus gefahren, allerdings hatte er nur ein Ziel: sich ein original Arsenal-Trikot zu besorgen. Der Shop war eine schlecht beleuchtete Höhle, in der zwei Angestellte Fanartikel verkauften. Der eine kassierte, der andere erfüllte die Sonderwünsche, denn man konnte sich Name und Nummer seines Lieblingsspielers auf ein Trikot bügeln lassen. Für meinen Sohn hieß der Favorit Thierry Henry, aber da war er nicht der Einzige. Es gab keine 1 und keine 4 mehr, und auch bei Henry hätte ein Buchstabe gefehlt. Nach längerem Nachdenken, zwischendurch ließ sich eine sehr

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