Mit der Linie 4 um die Welt
das?«, fragt eine andere ältere Frau. »Er ist ein Terrorist«, antwortet die Elegante in einem Ton, als sei das Heimatschutzministerium schon dabei, den Bus zu umstellen. »Wenn Sie Terrorismus vermuten, dann rufen Sie das NY Police Department an, die Angaben werden vertraulich behandelt«, steht über ihrem Sitz an der Wand über dem Fenster.
Zwischen der 84. und 85. Straße fällt ein Laden auf, der bis unter die Decke mit Spielzeug und Fernsehern vollgestopft ist. Auf jedem der Bildschirme läuft ein anderer Trickfilm, ein quietschbuntes Durcheinander, in dem puppenhafte Kinder in Frisierstühlen sitzen. Ein jedes starrt auf seinen Bildschirm und lässt sich nebenbei die Haare schneiden, die Friseure devot zu ihnen hinabgebeugt. Währenddessen sind die Mütter auf Shoppingtour und haben, wenn sie zurückkommen, keine Hand mehr frei, weil sich rechts und links die Tüten teurer Boutiquen türmen.
Das Ende der Goldküste kommt hinter der 78. Straße. Dann machen die hochpreisigen Boutiquen nach und nach billigeren Geschäften Platz. An der 98. Straße ist der Eingang zum Mount-Sinai-Krankenhaus. Ab jetzt sind wir in einer armen Gegend, und die Hautfarben werden auch im Bus vielfältiger.
Die schönste Linie-4-Geschichte hat Miki Marcu erzählt, die Tochter von Eva und Valeriu. Vor ein paar Jahren fuhr sie mit einer französischen Freundin von der Upper East Side mit der 4 zu den Cloisters. Am Mount-Sinai-Krankenhaus an der 98. Straße bremste der Fahrer abrupt, fuhr den Bus an den Straßenrand, öffnete die Türen und gab durch die Lautsprecheranlage bekannt, dass er eben beschlossen habe, seinen Beruf aufzugeben, und zwar sofort. Er bitte die Fahrgäste auszusteigen und den nächsten Bus zu nehmen. Fahrgäste, die mit Bargeld bezahlt hätten, bekämen die Fahrt von ihm ersetzt. Er soll glücklich ausgesehen haben, während die Leute im Bus doch etwas verdattert geschaut hätten und dann langsam ausgestiegen seien. Der Busfahrer hatte hinter ihnen sein Fahrzeug abgeschlossen und war davongeschlendert.
»No littering, no smoking, no spitting, no radioplaying«, steht an der Heckwand des Busses. Nichts wegwerfen, nicht rauchen, nicht spucken, kein Radio. Das Spucken auf den Fußboden ist aus der Mode gekommen, in New York raucht schon lange keiner mehr an öffentlichen Orten, und die Musik ist in kleinen weißen Ohrhörern versteckt. Also nur noch: No littering. Es wird viel gekrümelt, vor allem morgens, wenn im Berufsverkehr die Leute mit den Kaffeebechern und den Croissant in den Bus kommen und während der Fahrt frühstücken.
Ein langer Halt in der 110. Straße. Ein Rollstuhlfahrer steht an der Haltestelle. Die Busfahrerin verlässt ihr Fahrerhaus, klappt die Invalidenbank nach oben. Schließt ein Kästchen an der mittleren Tür auf, bedient eine komplizierte Hydraulik, die aus einer Bodenluke einen Lift ausklappt und auf Trottoirhöhe senkt, wo der Rollstuhlfahrer wie auf eine Schippe fährt, die sich nach oben bewegt, ihn Sekunden über der Straße schweben lässt und auf Höhe des Busbodens wieder freigibt. Das alles geht mit einer Ruhe und Geduld vor sich, als wäre man in Mecklenburg-Vorpommern und nicht in Manhattan. Die Busfahrerin lächelt, schließt das Kästchen wieder ab, setzt sich auf ihren Platz und sagt die kommende Haltestelle an.
Immer wieder bin ich von der Freundlichkeit und Umsichtigkeit der busfahrenden New Yorker überrascht. Als eine Frau ihren Kopf erschöpft auf die Lehne vor sich legt, fragt ihre Sitznachbarin, ob alles in Ordnung sei.
Die Tenement-Häuser der 110. Straße mit ihren Feuerleitern, Ende des neunzehnten Jahrhunderts errichtet, haben schon bessere Zeiten gesehen. Sie bilden den südlichen Rand von Harlem. Eigentlich müssten das die Filetstücke der Stadt sein, denn man hat von ihnen einen Blick auf den Central Park. Viele Jahre lang ist das Viertel, das als der Inbegriff des schwarzen Ghettos galt, aber immer viel mehr und viel differenzierter war und ist, vernachlässigt worden, aber seit Bill Clinton hier sein Büro hat, hat auch in Harlem das begonnen, was man weltweit Gentrifizierung nennt, eine Aufwertung des Viertels bei gleichzeitiger Verdrängung der bisher hier wohnenden Bevölkerung. Der Prozess geht langsam vonstatten, aber die ersten Häuser sind schon renoviert.
Der Morningside Park ist immer noch die Grenze zwischen dem schwarzen und dem weißen Amerika. Das Gelände steigt von Harlem kommend zu den Morningside Heights an, dahinter erstreckt sich
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