Mit der Zeit
genossen heutzutage oft Freiheiten und Privilegien von der Art, wie sie früher nur akkreditierten Korrespondenten der großen Zeitungen zugestanden wurden. Mobile Teams, die Zugang zu den großen Fernsehgesellschaften und zu den TV-Satellitensystemen hatten, konnten in Krisenzeiten sogar noch allmächtiger agieren und hatten dann so etwas wie einen übernationalen Status. Das waren dann die Crews, vor denen die modernen Netschajews am liebsten ihre Geschichten nach grobschlächtigen Drehbüchern inszenierten, Geschichten, in denen Schurkerei enthüllt wurde, gerechter Zorn sich austobte, Unschuld durch die läuternden Flammen der Gewalt wiederhergestellt und volkstümlicher, simpler Gerechtigkeit Genüge getan wurde, von Leuten, die auf diese Einfachheit mächtig stolz waren. Bei solchen Gelegenheiten mit Millionen von Zuschauern wurden diese Crews und der von ihnen bediente Apparat unantastbar.
Zander hatte das natürlich begriffen, aber er hatte es nur von außen begriffen, als einer aus dem Publikum. Sicher, er hatte Vermutungen darüber angestellt, wie man sich wohl auf der anderen Seite der Kamera fühlte, aber sie waren nicht zutreffend genug gewesen. Was er für die Elemente einer sicheren Tarnung angesehen hatte – die Fernseh-Embleme, die nachsichtigen Leute vom Zoll, die hilfreichen Beamten, die schützende Polizei –, waren in Wirklichkeit nur Begleiterscheinungen von etwas ganz anderem. Selbst ein normalerweise gleichgültiger Mensch drehte sich danach um. Die echten Crews waren sich des lebhaften Interesses, das sie weckten, sehr wohl bewußt und begegneten ihm größtenteils mit professioneller Gleichgültigkeit. Unsere bunte Truppe von Mimen konnte nur mürrisch dreinblicken oder verlegen grinsen.
Unmittelbar vor Zürich kamen wir an eine große Tankstelle, ohne einen Rastplatz und ohne ein Restaurant. Zander wies Chihani an, auf den Vorplatz zu fahren und vollzutanken. Dann stieg er aus und ging nach hinten zu dem Kastenwagen. Er und Vielle unterhielten sich kurz, bevor sie auf das Büro des Tankstellenpächters zugingen, vermutlich um zu telefonieren. Ich sah, wie Chihani sie beobachtete, aber als sie die Benzinrechnung bezahlt hatte, machte sie keine Anstalten, ihnen nachzugehen. Statt dessen stieg sie wieder ins Auto und drehte sich um, um mit mir zu reden.
»Es war die Fragerei, die mich überrascht hat«, sagte sie. »Haben Sie das erwartet?«
»Nein. Es ist zwar Sonntagnachmittag, und diese Leute auf dem Rastplatz hatten nichts Besseres zu tun. Aber ich glaube nicht, daß damit alles erklärt ist. Die Fragen, oder jedenfalls einige davon, waren ziemlich idiotisch, das ist schon richtig. Aber ganz so blöd sind die Leute wirklich nicht. Es lag an uns selber.«
»Daß sie so blöd waren?«
»Nein, aber wir gaben ihnen offensichtlich das Gefühl, daß irgendwas mit uns nicht stimmte. Und sie hatten recht. Da stimmte überhaupt nichts. Wissen Sie, wie sich ein echtes Team verhalten hätte? Die hätten ihre Fahrzeuge abgeschlossen und wären zu Kaffee und Sandwiches ins Restaurant gegangen. Ein paar Leute hätten sich wahrscheinlich um sie geschart. Die wären ignoriert worden. Alles was ein Frager zur Antwort bekommen hätte, wäre ein leerer Blick oder ein Achselzucken oder ein ›comprends pas ‹ gewesen. Bei einem hartnäckigen Frager würde die Crew einfach unter sich reden und ihn ausschließen. Wir haben nicht nur geduldig Fragen beantwortet, sondern die jungen Leute schnatterten und kicherten zudem, als seien sie auf einem Picknick. Kein Wunder, daß die Fragen idiotisch wurden. Wir waren idiotisch. Ich schlage vor, daß die jungen Leute beim nächsten Halt so tun, als schliefen sie. Bei anderen Gelegenheiten sollten sie die Köpfe unten halten. Auf keinen Fall sollten sie den Eindruck erwecken, als amüsierten sie sich. Jean-Pierre sollte den Kastenwagen fahren und versuchen, ausschließlich französisch zu sprechen.«
»Ich werde es dem Patron sagen.« Sie lächelte ein wenig. »Es ist sehr unprofessionell. Bestimmt leiden Sie darunter.«
»Ich würde noch mehr leiden, wenn ich glaubte, diese Tarnung sei Ihre Idee gewesen. Ich glaube es aber nicht.«
»Ich war dagegen. Es war eine gute Tarnung für Sie, aber nicht für uns. Aber schließlich täusche ich mich auch manchmal. Ich war auch gegen den Überfall auf Paciolis Leibwächter. Ich hielt es für …« Sie zuckte mit den Achseln.
»Brutal und überflüssig?«
Sie schien überrascht. »Nein, ich hielt es für einen Fehler.
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