Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)
DVD s haben wollte, nicht einmal die billigen vom Vietnamesenmarkt. Musik und Filme gab es kostenlos im Internet, warum also schmuggeln? Natürlich kamen die Leute immer noch, wegen der Tankstellen, Casinos und Nutten. Das alles konnte Dok-To nicht bieten.
Also stiegen die Vietnamesen ins Crystal-Geschäft ein, eine Droge, die in den 90er-Jahren nach Deutschland kam, aber nur schwer zu bekommen war. Wer etwas haben wollte, brauchte Kontakte – vor allem zu Menschen, zu denen man eigentlich keinen Kontakt haben möchte.
Crystal ist nicht allzu schwer herzustellen, also begannen die Vietnamesen, es in abgelegenen Bauernhöfen anzumischen und in den Hinterzimmern der Bretterbuden anzubieten. Wo einst CD s und Zigaretten lagen, da lagen nun durchsichtige Ziplock-Beutelchen mit weißen und durchsichtigen Kristallen darin. Die tschechische Polizei hatte keine Ahnung, die deutschen Beamten suchten immer noch nach Zigaretten. Erst 2006 wurde Crystal gesondert registriert, die Zahlen verdeutlichen den rasanten Anstieg: 2009 stellte der bayerische Zoll 138 Gramm Crystal sicher, 2010 waren es 1200 Gramm, im Jahr 2011 dann bereits mehr als 3,5 Kilogramm.
Die Gewinnspanne ist sensationell. Dok-To kostet die Herstellung eines Gramms etwa 1,50 Euro, er verkauft es für 30 Euro. In Deutschland wird es für 100 Euro gehandelt, in Großstädten wie München und Nürnberg gerne auch für mehr. Wer will da noch gebrannte CD s verkaufen oder Zigaretten?
Ein Freund, der im Grenzgebiet wohnt, sagt: »Ich könnte Geschichten erzählen, die füllen ein Buch! Drogen, Geld, Nutten, Waffen – alles dabei, was eine gute Geschichte braucht!« Mittlerweile schmuggeln die Vietnamesen selbst: Sie kleben eine magnetische Box an ein Auto, fahren hinterher und nehmen die Box wieder ab. Dann verkaufen sie es, weil die Deutschen kaufen wie die Verrückten.
Razzien gibt es kaum, die Politik scheint das Problem zu unterschätzen oder unter den Teppich kehren zu wollen. Im Oktober 2011 stellte die Bundestagsabgeordnete Marianne Schieder eine Anfrage im Bundestag, was die Regierung gegen den Drogenschmuggel zu tun gedenke. Die Antwort des Innenministeriums: Seit dem 17. Februar sind Arzneimittel mit einer Wirkstoffmenge von mehr als 720 Milligramm Pseudoephedrin der Verschreibungspflicht unterstellt. Wow!
Das Problem ist auch – und das ist keineswegs rassistisch gemeint –, dass die vietnamesischen Händler austauschbar sind. Das weiß auch Juan Dok-To: »Gibt immer wieder Polizei und Festnahmen. Egal, kommt der nächste Kollege und verkauft. Kein Stopp, kein Problem.« Er selbst hatte ein paar Mal Kontakt zur Polizei, wirklich kontrolliert worden sei er noch nicht: »War bei Zigaretten schlimmer. Jetzt nur aufpassen, alles in Ordnung.«
Die Deutschen, so Juan Dok-To, kommen immer noch wie nach dem Fall des Eisernen Vorhangs: »Gehen ins Casino, gehen zu Frauen, fahren zur Tankstelle. Und nehmen viele Sachen mit nach Deutschland.« Sachen, das sind Benzin und Gartenzwerge, aber auch Drogen. »Viele Drogen«, sagt er, »Umsatz ist gut.«
Schmuggeln gilt hierzulande immer noch als Kavaliersdelikt, kaum jemand gilt als Gauner, nur weil er statt der erlaubten Menge Zigaretten eben doch zehn Stangen mit nach Deutschland nimmt. Bei den härteren Sachen wird gerne weggesehen. Nur nichts mit einem zu tun haben, der Drogen schmuggelt. Nur nichts mit einem zu tun haben, der Drogen nimmt.
Im Gegenteil: Beamte an der Grenze müssen sich noch verkohlen oder beschimpfen lassen, nur weil sie intensiv und gewissenhaft kontrollieren. »Wir gelten als Pedanten, als Spielverderber«, sagt einer, »Anerkennung gibt es in unserem Beruf nicht wirklich.«
Die Menschen schmuggeln ihre kleinen Sachen – und wollen von den schlimmeren Dingen einfach nichts wissen.
Ich kaufe nichts bei ihm und seinen Kollegen, nicht einmal ein T-Shirt wie mal vor 15 Jahren. Ich fahre auch nicht an die Tankstelle. Als ich ins Auto steige, da grinst Juan Dok-To. Gerade ist ein Kollege von ihm gekommen und hat etwas auf Vietnamesisch gerufen. Alle lachen. Er nimmt den Touristen am Arm, der gerade die Schlagringe begutachtet. Dann führt er ihn nach hinten. Es wird anscheinend doch noch ein guter Tag für Juan Dok-To und seine Kollegen.
Kapitel 33
Wehrt euch!
Es heißt immer, dass man eintreten soll für das, woran man glaubt. Dass man sich gegen Unrecht auflehnen und für seine Überzeugungen aufstehen soll. Noch schlimmer als der, der Unrecht begeht, ist der, der beim Unrecht
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