Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)
Handy herum; er versucht sein Glück beim Pokern. Meistens erfolglos. Er lacht, er schäkert mit den Kartenverteilern oder den Landsleuten, dann schickt er seine Frau los, damit sie ihm mehr Chips besorgt.
Was soll er auch sonst machen? Er ist Fremder in einer Gegend, in der es außer Casinos, Bordellen und Paintball-Anlagen kaum Möglichkeiten zur Freizeitbeschäftigung gibt. Er spricht ein bisschen tschechisch, deutsch kann er so gut, dass er Sachen verkaufen kann. Er ist befreundet mit dem Besitzer des Massagesalons, die Menschen in den Bars mit den roten Lichtern mag er nicht so gerne. »Keine guten Menschen«, sagt er.
Wer in dieser Gegend aufgewachsen ist, der hat all die Veränderungen der letzten 30 Jahre mitbekommen. Als Kind bekam man gesagt, dass man erschossen würde, wenn man mit dem Fahrrad zu nahe an die Grenze oder gar darüber fahre. Dort drüben, da war der Feind.
Dann war der Feind plötzlich nicht mehr der Feind – aber er war auch nicht der Freund. Man bekam als Jugendlicher einen Chauvinismus eingetrichtert, der nicht selten in Rassismus ausuferte. In Tschechien, da konnte man billig essen. Man konnte billig tanken. Man konnte billig ficken.
Tschechen, das waren preiswerte Bedienungen, preiswerte Fußballer, preiswerte Handwerker. Sie waren wie Menschen zweiter Klasse, jedenfalls wurden sie so behandelt. Und die Vietnamesen, die sich bald im Grenzgebiet ansiedelten, das waren Menschen dritter Klasse. Wenn der reiche Deutsche aß oder tankte oder fickte, dann hatten die anderen zu spuren. Plötzlich konnte der Arbeiter, den in seinem Heimatdorf keiner ernst nahm, andere Menschen herumkommandieren. Was für ein Gefühl!
Wir Jugendlichen liefen plötzlich in Designerklamotten herum, die natürlich keine Designerklamotten waren, sondern nur Fälschungen. Jeder hatte ein ärmelloses rotes Armani-Shirt, eine Chiemsee-Daunenjacke und eine Joop-Jeans. Wer sich tatsächlich die offiziellen Versionen leisten konnte, der zog sie nicht an, weil ihm keiner geglaubt hätte, dass es nicht die gefälschten Sachen aus Tschechien waren. Es gab keine Fashion Victims, weil quasi jeder ein Schmuggler war oder einen Schmuggler kannte.
Die Zigarettenautomaten in meiner Heimatstadt wurden ein Mal pro Jahr aufgefüllt, weil kein Raucher so töricht war, deutsche Zigaretten zu kaufen, die das Vierfache von dem kosteten, wofür man sie in der Tschechischen Republik bekommen konnte. Niemand kaufte mehr Schnaps in Deutschland oder CD s. Gab es alles jenseits der Grenze. Kaum jemand tankte in Deutschland, wenn man doch das Benzin im Tank und in Kanistern über die Grenze schmuggeln konnte. Schmuggeln war kein Verbrechen, sondern ein Hobby. Natürlich wusste jeder, dass es verboten war, doch es war jedem egal.
Direkt hinter der Grenze wurden gebaut: Casinos, Tankstellen, Bordelle, Supermärkte. Und natürlich der Asian Dragon Bazar mit den Bretterbuden von Juan Dok-To und seinen Kollegen.
»Gute Zeit« nennt Dok-To die Jahre zwischen 2000 und 2005. Die Goldgräberzeit mit den Glücksrittern und windigen Baulöwen nach der Wende war vorbei, es kehrte ein bisschen Ruhe ein. Auf dem Markt waren die Claims abgesteckt; wer gut im Geschäft war, der war sehr gut im Geschäft. Dok-To war überragend im Geschäft. Pro Tag verkaufte er mit zwei Kollegen 700 Stangen Zigaretten, 300 CD s und 150 DVD s. Reingewinn: etwa 1000 Euro. Jeden Tag. 300 Euro für jeden, am Ende des Monats blieben meist fast 10000 Euro übrig. »Gute Zeit«, sagt Dok-To. Dass die Menschen die Waren über die Grenze schmuggelten, das war ihm egal. »Nicht mein Problem«, sagt er. Sein Problem war, dass die CD s gefälscht waren und die Zigaretten von mangelhafter Qualität.
Ein befreundeter Zöllner erzählt, dass die Vietnamesen sogar dafür sorgten, dass die deutschen Beamten Erfolge feiern durften. »Sie verpfiffen die Deutschen, die ihnen arrogant daherkamen«, sagt er, »wir haben die Schlagzeilen bekommen, wurden gelobt und durften uns freuen – und die Vietnamesen haben das Ganze als notwendige Ausgabe und Opfer verbucht und haben einfach weitergemacht. Einer ging für alle anderen eine gewisse Zeit ins Gefängnis, das gehörte zum Zusammenhalt dazu. Die haben uns nach Strich und Faden verarscht.«
2005 dann begann der tschechische Zoll, massiv gegen den Zigarettenschmuggel vorzugehen. Es gab Razzien, Verhaftungen, empfindliche Strafen. Dok-To brach der Tabakhandel weg. CD s und DVD s verkaufte er auch keine mehr, weil kein Mensch mehr CD s und
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