Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)

Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)

Titel: Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Schmieder
Vom Netzwerk:
fahren. » Occupy Wall Street war ein Erlebnis, besser als jeder Abenteuerurlaub«, sagt sie.
    Wer nicht nur herumstehen und in eine Trillerpfeife blasen möchte, der sollte Lisa Fithian besuchen. Die Frau ist seit 30 Jahren damit beschäftigt, gegen alle möglichen Sachen zu protestieren. Mitte der 70er-Jahre hat sie mit dem Protestieren begonnen, als sie gegen die Budgets an ihrer Highschool demonstrierte. Sie hat Flüsse gerettet, wollte die CIA stürzen, hat nach Hurrikan »Katrina« beim Aufbau ebenso mitgeholfen wie beim Protest gegen Politiker. Sie blockierte Brücken, Straßen – und war bei Freiheitsmärschen im Gaza-Streifen dabei. Nun gibt sie den Protestneulingen Hilfe in Manhattan, sie wurde vom Magazin Mother Jones als »Professor Occupy« bezeichnet. Einer der Teilnehmer an ihren Seminaren sagte: »Von ihr in Sachen Protest unterrichtet zu werden, das ist so, als würde einem Lionel Messi beibringen, wie man dribbelt.« Dass Occupy Wall Street keine kleine Demonstration wurde, sondern weltweit für Aufsehen sorgte, das war auch ihr Verdienst.
    Wer Lisa Fithian besucht, der sieht eine kleine Frau mit strähnigen blonden Haaren und dunklen Augen und scheuem Lächeln. Sie bewegt sich, als entstammte sie einem Fitnessvideo – und zwar einem, das sich niemand ansieht, weil er fit werden möchte, sondern weil er sich Menschen ansehen möchte, die es nur in diesen Videos gibt. Bei der Occupy-Wall-Street -Bewegung zeigte sie Buben aus Mittelklassefamilien und frustrierten Privatschullehrern, wie das so läuft bei einer Demonstration und wie man sich in Sicherheit bringt, wenn die Polizei auftaucht oder die Taxifahrer in Manhattan nicht anhalten wollen.
    Sie sagt Sätze wie diesen: »Das Wichtigste bei einer Demonstration ist, dass man nicht überfahren wird. Vor jedem Scheiß-Auto muss einer stehen, der dafür sorgt, dass der Fahrer sein Auto unter Kontrolle hat und nicht plötzlich losfährt.« Sie sagt auch Sätze wie: »Ich habe ein trainiertes Auge. Ich komme in eine Stadt, sehe ein Parkhaus und denke: Da könnte man ein riesiges Banner aufhängen. Dann sehe ich ein Restaurant und denke: Hier könnte man sich gut verstecken, wenn die Dinge außer Kontrolle geraten.« Und sie sagt: »Manchmal fragen mich die Menschen, was ich eigentlich mache. Ich antworte dann: Ich sorge für Krisen – denn nur in der Krise ist Veränderung möglich.«
    Einzige Regel: keine Gewalt. Niemals.
    Wer die Mitglieder seiner Gewerkschaft auf einen Protest vorbereiten möchte, muss für jede Person normalerweise 300 Dollar pro Tag bezahlen. Privatpersonen manchmal mehr, manchmal weniger – je nachdem, was Fithian vom Protest hält. Die Kurse wirken ein wenig wie eine Mischung aus Kindergeburtstag, Bundeswehr-Grundausbildung, Zumba und Woodstock-Jahrestag. Man muss sich an Händen und Knien anfassen, man jubelt sich gegenseitig zu, man wird angebrüllt, weil man vergessen hat, wie man anständig davonläuft.
    Wer bei Fithian war, der merkt, wie verweichlicht er geworden ist: Es ist etwas anderes, wenn man 15 Kilometer auf einem Ergometer läuft – oder um seine Freiheit. Es ist etwas anderes, wenn man beim Boxtraining mit Kopfschutz und Handschuhen kämpft und keine Schwinger schlagen darf – oder man tatsächlich kämpft. Es ist etwas anderes, wenn man im Fitnessstudio 90 Kilo in die Luft stemmen kann – oder man gegen einen Wasserwerfer ankämpft.
    Wenn sie einen Protest plant, dann kommen da nicht ein paar Leute und stellen sich vor einen Bahnhof oder raunen beim schrecklichen Buch eines ehemaligen Bankers. Fithian verteilt Stadtpläne, sie plant die Marschrouten, so wie General George S. Patton den Weg seiner Truppen durch die Normandie geplant hat: Treffen um sieben Uhr an verschiedenen Parks, Laufen in unterschiedlichen Geschwindigkeiten, um gleichzeitig die Wall Street zu erreichen. Später sollen noch Firmenlobbys besetzt und Straßenkreuzungen blockiert und Bankkunden in Gespräche verstrickt werden.
    Wer bei Lisa Fithian war, der ist bereit.
    Protestieren ist cool derzeit, in Paris gibt es eine Schule, in der Frauen ausgebildet werden, mit blanken Brüsten zu protestieren. Die russische Frauenrechtsgruppe Femen organisiert die Schulungen, fast immer sind Kamerateams dabei. Die einfache Formel: hübsch sein, böse gucken, Brüste zeigen. Dann sehen die Menschen hin – und vielleicht merkt sich sogar einer, wofür oder wogegen protestiert wird. Bilder funktionieren besser als Worte. »Ein wenig Botschaft kommt immer

Weitere Kostenlose Bücher