Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)
bestand darauf, stets das für ihn sicherste Auto auf dem Markt zu besitzen. Er war der wahr gewordene Traum der Automobilindustrie: ein reicher Mann, der alle zwölf Monate ein nagelneues Auto braucht.
Dieser Mann, der kein Fahrzeug lenken sollte, durfte quasi blind herumfahren und letztlich den Sohn meines Freundes streifen. Dem Kind ist Gott sei Dank nichts passiert – und der alte Mann kaufte sich mal wieder ein neues Auto.
Es geht nicht so sehr um das Alter des Mannes. Es geht vor allem um seine Unfähigkeit, ein Auto zu lenken – und die Tatsache, dass es keiner überprüft.
Man absolviert in Deutschland eine theoretische und eine praktische Prüfung; zu beidem wird man erst nach endlosen Theorieabenden und Fahrstunden zugelassen. Dann bekommt man den Pkw-Führerschein, den man bis an sein Lebensende behalten darf – eingegriffen wird nur, wenn etwas passiert. Warum erst dann? Ist es nicht zu spät, wenn etwas passiert ist?
Der Grund ist klar: Wenn möglichst viele Menschen ihren Führerschein behalten dürfen, dann werden weiterhin viele Autos verkauft. Vor allem müssen diejenigen Menschen den Schein behalten, die sich endlich die teuren Neuwagen kaufen können. Es gibt viele wahr gewordene Träume der Automobilindustrie und ihrer Lobbyisten.
Ich würde gerne erreichen, dass jeder Mensch in gewissen Abständen – zwei, drei oder fünf Jahre – eine theoretische und praktische Prüfung ablegen muss, um seinen Führerschein behalten zu dürfen. Vielleicht sollte es davor einen Vortrag bei einem Fahrlehrer geben, der über die wichtigsten Änderungen der Straßenverkehrsordnung informiert – und eine kurze praktische Prüfung, um festzustellen, ob der Fahrer tatsächlich in der Lage ist, ein Fahrzeug zu bedienen und im Straßenverkehr zu bestehen. Was wäre schlimm daran?
Dadurch ließen sich Tausende Unfälle pro Jahr vermeiden – aber es würden auch Tausende Autos weniger verkauft. Kann einer wie ich gegen die Automobillobby bestehen? Ich habe da meine Zweifel.
Johannes, der Fahrlehrer, ist ein kleiner, rundlicher Typ, dem man ansieht, dass er auf jedes einzelne seiner Pfunde stolz ist, weil er hart dafür gegessen hat. Er ist ein lustiger Mensch, als Fahrlehrer ist er überaus gewissenhaft und konzentriert, was ihm im Landkreis meiner Heimatstadt einen sehr guten Ruf beschert hat. »Das wird lustig«, sagt er vor der Fahrt, »vor allem, weil ich glaube, dass du keine Chance hast zu bestehen.«
Die Beruhigung seiner Schüler gehört offensichtlich nicht zu seinen Stärken.
Der Prüfer kommt ein wenig später hinzu – und entdeckt, wie gesagt, schon vor dem Start die ersten Fehler.
Nach meinen ersten drei kleinen Fehlern fahren wir ein wenig durch die Kleinstadt. Ich halte mich strikt ans Tempolimit, blinke jedes Mal, wenn wir an einem am Straßenrand geparkten Auto vorbeifahren, ich erinnere mich an den Schulterblick ebenso wie an »Rechts vor links« und die Regel, möglichst beide Hände am Steuer zu haben.
Ich bin der Einzige, der wirklich 50 fährt.
Erinnern Sie sich noch an Ihre Führerscheinprüfung? Die Nacht zuvor? Den Moment, als Sie ins Auto gestiegen sind? Als Sie den Prüfer zum ersten Mal sahen? An die Fahrt? Und an den Moment, in dem Ihnen gesagt wurde, dass Sie bestanden haben? Es ist ein großartiger Tag, den wir gerne in einer Schublade im Gehirn archivieren, die wir nur selten öffnen. An diesem Tag werden wir innerhalb von Minuten von einem nervösen Häufchen Elend zu einem Menschen, dem die Welt plötzlich offensteht.
Keine Sorge: Ich erinnere mich auch nicht wirklich, aber gerade fühle ich Teenagerhormone in mir und spüre, dass auf der Stirn ein Pickel sprießt.
Vor uns steht ein parkender Bus. Keine Ahnung, ob da jemand aus- oder einsteigt. »Bus, Bus, Bus, da war doch was?«, denke ich mir. Ich bremse lieber ab und rolle langsam am Bus vorbei.
»Lieber Herr Schmieder«, sagt der Fahrlehrer, »wir wollen schon zügig vorankommen.«
Der Prüfer zieht die Augenbrauen hoch, wie Harald Schmidt die Augenbrauen hochzieht, wenn er einen Studiogast veralbern will.
»Das ist kein Minuspunkt, aber an einem parkenden Bus ohne Warnblinklicht und ohne aussteigende Gäste dürfen Sie gerne schneller vorbeifahren.«
Ich beschleunige – und die Nadel zeigt ein wenig mehr als 50 Stundenkilometer an.
»Wir wollen zügig vorankommen, Herr Schmieder«, sagt der Prüfer, »aber wir sind nicht auf der Flucht. Zumindest habe ich noch niemanden gesehen, der uns verfolgt und den
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