Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)
»ich schlafe bis 10.30 Uhr, dann gehe ich kurz joggen oder fahre mit dem Rad, dann dusche ich mich und ziehe mich so an, als würde ich zur Arbeit gehen. Ich habe mich am Anfang eine Woche lang in Schlabberklamotten vor den Computer gesetzt, doch dann war ich nicht konzentriert. Wenn man von zu Hause aus arbeitet, dann muss man sich selbst die Illusion geben, als würde man ins Büro gehen.«
Er spielt sieben Stunden pro Tag, er ist gleichzeitig an neun Tischen angemeldet. Blinds , also der Grundeinsatz: zwei und vier US-Dollar pro Spiel. Nebenher errechnet eine Software die Chancen auf einen möglichen Sieg bei der aktuellen Hand. Die Einstellungen hat Thomas so geändert, dass der Computer automatisch Hände wegwirft und ihn nur dann alarmiert, wenn es seiner Meinung nach interessant sein sollte. »Für die Programmierung habe ich etwa eine Woche gebraucht und modifiziere sie immer wieder.« Im Regal stehen Bücher über Mathematik, Astronomie und Schach.
Der Mann ist kein Glücksritter, der auf den großen Durchbruch aufgrund einer Serie von günstigen Händen hofft. Er hat Abitur, ihm wäre wegen seines gemessenen Intelligenzquotienten auch eine Karriere als Physiker zuzutrauen gewesen. Er ist aber Pokerprofi, der bei einem Online-Casino unter Vertrag ist. Er bezieht ein Grundgehalt und Boni für gespielte Stunden, dazu übernimmt das Casino die Startgebühren für bedeutsame Turniere. Dafür ist an jedem Kleidungsstück das Logo des Casinos eingenäht.
Er macht das nicht, weil er muss oder weil die Gesellschaft keinen anderen Beruf für ihn bereithält. Kein Zwang, kein Druck, keine Hoffnungslosigkeit. Er macht das auch nicht, weil er nichts anderes kann. Er ist Pokerspieler, weil er Pokerspieler sein möchte.
Wir kommen auf den rechtlichen Aspekt seines Berufs zu sprechen: »Was glaubst du denn, warum ich so nahe an der Grenze wohne?«
Zum Spielen wählt er sich in ein tschechisches Netz ein – und könnte notfalls behaupten, dass er jeden Tag die paar Kilometer in die Tschechische Republik fahren würde, um im Internet zu pokern. Dass er pokert, ist für jeden zu sehen, schließlich ist er mit seinem richtigen Namen angemeldet. Das Casino rühmt sich gar, ihn unter Vertrag zu haben, und lädt Amateurspieler ein, sich mit ihm zu messen. Angst, dass mal jemand in seine Wohnung marschieren und feststellen würde, dass er in Wirklichkeit von Deutschland aus pokert, hat er nicht wirklich: »Die Casinos beschäftigen Anwälte, die haben mir genau erklärt, was ich tun darf und was ich zu lassen habe.« Offiziell nehme er auch an keinen öffentlichen Pokerspielen in Deutschland teil – inoffiziell sagt er, dass er im Jahr 2011 bei 57 Veranstaltungen war. Dazu kommen noch Turniere im Ausland – weshalb er in jedem Land ein Bankkonto eingerichtet hat. »Ich kann ja das Geld nicht einfach nach Deutschland einführen.« Das haben ihm die Anwälte gesagt und geraten, mehrere Konten zu eröffnen. In Zeiten von Online-Banking ist es kein Problem, die zu verwalten. Außerdem bezahlt er auf diese Weise kaum Steuern.
Genau an diesem Punkt wird es interessant: Der Pokerspieler, der sein Jahresgehalt vorsichtig auf 500000 Euro schätzt, bezahlt Steuern wie einer, der knapp 60000 Euro verdient – auf seine Einnahmen als Werbefigur und auf sein Gehalt als Profi beim Online-Casino. Die anderen Gewinne versteuert er nicht.
»Ich setze aber auch keine Verluste ab, wenn ich einen schlechten Abend habe«, sagt er und sieht dabei aus, als würde er sich entschuldigen.
Al Capone sagte einst bei seiner Gerichtsverhandlung: »Wie soll ich Steuern bezahlen auf Geld, das ich offiziell niemals verdient habe?« Pokerspielern heutzutage geht es ähnlich.
»Ich würde schon Steuern bezahlen, wenn man ein vernünftiges System finden würde«, sagt er, »aber ich werde ja schon als Verbrecher stigmatisiert, nur weil ich am Pokertisch sitze.« Seiner Meinung nach werde er aufgrund der Gesetzgebung in die Steuerhinterziehung getrieben. Auf der anderen Seite sei er froh, dass Pokern weiterhin als Glücksspiel eingestuft wird – auch wenn er bei jeder Gelegenheit betont, dass es sich um ein Geschicklichkeitsspiel handeln würde. Solange das nämlich so ist, muss er die Gewinne nicht versteuern, und solange die Polizei derart lasch gegen Pokerspieler vorgeht, muss auch kaum einer etwas befürchten. Thomas sagt: »Ich glaube, dass sich außer unseren Anwälten kaum jemand mit der rechtlichen Situation auskennt.«
Wie soll die Polizei
Weitere Kostenlose Bücher