Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)
wir abschütteln sollten. Nur ein Hinweis, kein Minuspunkt.«
Er dirigiert mich zur Autobahn; ich mache bis dahin keine Fehler und beschleunige auf 130 Stundenkilometer. Ich weiß noch, dass das die Richtgeschwindigkeit auf Autobahnen in Deutschland ist, also fahre ich lieber mal nicht schneller. Offensichtlich ist das die richtige Entscheidung, weil ich weder von Johannes noch vom Prüfer ein Zeichen bekomme.
Auf der Autobahn mit 130 Stundenkilometern zu fahren ist so spannend wie ein 100-Meter-Rennen im Dauerlauf.
Ich sehe ein Schild, das vorschreibt, die Geschwindigkeit auf 120 Stundenkilometer zu reduzieren. Das tue ich – und sehe sogleich zwei Schilder: Auf einem steht »bei Nässe«, das andere ist ein rundes Schild mit einer »80« darauf. Wenn es nass ist, dann darf ich nicht schneller als 80 Stundenkilometer fahren.
Was ist nass?
Es regnet nicht, es schneit nicht, auf der Fahrbahn befindet sich lediglich ein dünner Wasserfilm. Johannes sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, der Prüfer ebenfalls. Ich bremse, fahre exakt 80 Stundenkilometer und sage: »Das war richtig, oder?«
Johannes sagt: »Ja, in diesem Fall schon. Als Faustregel kannst du dir merken, dass eine Fahrbahn dann als nass gilt, wenn von den Reifen des Vordermanns etwas hochspritzt. In diesem Fall gibt es keinen Vordermann, also ist es richtig, zuerst einmal sicher zu fahren.« Der Prüfer nickt zustimmend. Ich hatte keine Ahnung und habe es nur gemacht, um vorsichtig zu wirken. Normalerweise wäre ich schnell weitergefahren.
Dann kommt ein Schild, das festlegt, dass alle vorherigen Verbote aufgehoben sind und ich wieder schneller fahren darf. Das mache ich. Etwa einen Kilometer weiter sehe ich ein Schild, das anzeigt, dass auch die Geschwindigkeitsbegrenzung bei Nässe nicht mehr gilt.
Puls: 130.
Ich sehe Johannes fragend an, doch der lacht nur.
»Dieses zweite Schild ist vollkommen überflüssig. Umgekehrt würde es Sinn machen, doch so ist das einfach nur Quatsch. Wer darauf reinfällt, der ist selber schuld. Aber eigentlich gehört dieses Schild entfernt.«
Johannes und der Prüfer amüsieren sich köstlich, während ich kurz vor einem Herzinfarkt stehe. Puls: null.
Als ich mich wieder beruhigt habe, stelle ich eine Frage, die mich seit Jahren beschäftigt: »Auf einer dreispurigen Autobahn: Ich fahre links, ein anderer rechts. Wir beide wollen auf die Mittelspur. Wer hat Vorfahrt?«
Meine beiden Mitfahrer sehen sich an, 30 Sekunden lang. Sie heben die Augenbrauen, dann heben sie die Schultern, dann schieben sie die Unterlippe nach vorne. Johannes sagt: »Keine Ahnung!« Der Prüfer stimmt ihm zu.
Zwei Tage später werde ich erfahren, dass dieser Fall nicht geregelt und stets im Einzelfall zu entscheiden ist, wer mehr Rücksicht nehmen muss.
Es ist der erste Heureka-Moment meines Projekts: Ich habe tatsächlich etwas gefunden, das in Deutschland nicht durch eine Vorschrift geregelt ist.
Wissen für Nichtjuristen
Auch im Kreisverkehr gilt »Rechts
vor links«, also haben die Autos
außerhalb des Kreisverkehrs Vor-
fahrt, wenn es nicht durch Schilder
anders geregelt ist.
Wir verlassen die Autobahn und fahren in eine Stadt. Direkt am Ortseingang befindet sich ein Kreisverkehr – und ich habe nur wenig Ahnung, wie ich mich verhalten soll. Soll ich beim Hineinfahren blinken? Muss ich Fußgängern den Vortritt lassen – und wenn ja, wann muss ich das tun? Beim Hineinfahren oder beim Hinausfahren?
Ich blinke beim Hineinfahren nicht und lasse auch keine Fußgänger vorbei. Beim Hinausfahren blinke ich. Offensichtlich war das richtig. Reiner Zufall.
»Jetzt machen wir es mal ostdeutsch«, sagt der Prüfer und fordert mich auf, bitte an der nächsten Ampel nach rechts abzubiegen. Sie ist rot, daneben ist jedoch ein kleiner grüner Pfeil angebracht, der nach rechts zeigt. Das bedeutet für mich, dass ich fahren darf, wenn es die Situation erlaubt. Ich halte dennoch kurz an, um Passanten über die Straße gehen zu lassen. Dann fahre ich nach vorne – und weil kein anderes Auto kommt, biege ich ab.
»Ganz ehrlich«, sagt der Prüfer, »was hätten Sie gemacht, wenn keine Fußgänger da gewesen wären?«
»Dann wäre ich gleich nach vorne gefahren – und wäre abgebogen, wenn kein Auto gekommen wäre. Dafür ist der grüne Pfeil doch da.«
Der Prüfer grinst: »Dann wären Sie durchgefallen. An einer roten Ampel muss man zuerst immer anhalten, erst dann darf man nach vorne fahren und gegebenenfalls abbiegen.«
Das
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