Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)
Einbahnstraße abkürzen, bei Rot über die Straße gehen. Mit 1,0 Promille das Auto noch selbst heimfahren. Schnell das Gespräch während der Fahrt annehmen, anstatt auf den nächsten Parkplatz zu fahren, den Motor abzustellen und dann zu telefonieren.
Es würde höchstwahrscheinlich niemand merken, eine Strafe ist nicht zu befürchten. Dagegen spart man Zeit und Nerven.
Nur: Was, wenn doch was passiert?
Ich gehöre zu den Menschen, die sich nicht durch plumpe Verbote überzeugen lassen, sondern durch rationale Überlegungen und vernünftige Begründungen. Ein Verbot regt in mir den Reflex, es zu brechen – doch wenn ich einsehen muss, dass es richtig ist, gebe ich aus Effizienzgründen sofort nach.
Wissen für Nichtjuristen
Außerhalb geschlossener Ort-
schaften ist es nicht nur sinnvoll,
als Fußgänger die linke Seite zu
benutzen – es ist gesetzlich vor-
geschrieben.
Natürlich sind einige Straßenschilder vollkommen willkürlich aufgestellt, doch ein Bürger soll dennoch darauf vertrauen können, dass ein Großteil davon mit Bedacht angebracht wurde: Es macht Sinn, dass ausgerechnet hier eine Einbahnstraße ist, obwohl eine Fahrt fünf Minuten kürzer dauern würde, wenn beide Fahrtrichtungen erlaubt wären. Das Tempolimit in diesem Abschnitt der Autobahn wurde deshalb erlassen, weil bei höherer Geschwindigkeit zu viele Unfälle passiert sind. Die Tempo-30-Zone mag einem unsinnig erscheinen, doch verlassen sich die anderen Verkehrsteilnehmer darauf, dass sich alle daran halten.
Ist der Nutzen des früheren Ankommens derart hoch, dass es sich lohnt, die Gebote zu übertreten?
Ich gehöre auch zu den notorischen Falschparkern, weil mir eine Zeitersparnis von 30 Minuten durchaus 15 Euro wert ist. Damit liege ich offenbar im Trend der Stadt München: Das Kreisverwaltungsreferat hat im Jahr 2012 21,36 Millionen Euro durch Strafzettel und andere Delikte eingenommen – und nach Abzug aller Kosten 4,3 Millionen Euro Gewinn gemacht.
Die Versuchung ist groß – nur ist ein zweiter Teller Chili auch eine große Versuchung, obwohl jeder weiß, dass ein Chili mindestens zwei Mal brennt, was bei zwei Tellern vier Großbrände bedeutet. Ein vernünftiger Mensch lässt den zweiten Teller weg, und ein vernünftiger Mensch lässt auch viele Übertretungen im Straßenverkehr weg.
Ich bin ein eher unvernünftiger Mensch, weshalb ich auf der Fahrt zu den Verwandten beinahe ausraste. Ich fahre auf der Landstraße die ganze Zeit über Strich 100. Ich überhole nicht, sondern lasse mich zwei Mal überholen. Danach lobt mich meine Frau, während ich versuche, die Fußmatte in zwei Teile zu zerreißen oder wenigstens ins Lenkrad zu beißen.
Ein Bekannter von mir wollte Punkte in Flensburg abbauen, weshalb er sich einen Monat lang keine Übertretung leisten durfte, sonst wären alle Kurse und Prüfungen umsonst gewesen. Sein Fazit: »Man merkt erst, was für ein Krieg da draußen herrscht, wenn man sich mal ein paar Wochen an die Regeln hält.«
Hanni hält mich für einen Drängler und Pöbler. Die Zeitschrift ADAC Motorwelt hat bei einer Umfrage aufschlussreiche Erkenntnisse gewonnen: Ein Drittel der Autofahrer gab an, schon einmal provoziert und beleidigt worden zu sein. 80 Prozent fühlen sich durch Drängler bedroht, und 30 Prozent ärgern sich über Schleicher. Übrigens geben 40 Prozent aller Autofahrer zu, sich selbst schon mal dabei ertappt zu haben, aggressiv im Straßenverkehr zu sein.
Schön auch: Es gibt eine Rangliste nach Automarken zur Frage: »In welchen Marken sitzen die aggressivsten Menschen?« Die sieht so aus:
Platz 5: VW mit 5,4 Prozent.
Platz 4: Porsche mit 8,7 Prozent.
Platz 3: Audi mit 25,9 Prozent.
Platz 2: Mercedes mit 32,2 Prozent.
Platz 1: BMW mit 50,6 Prozent.
Ich merke in den ersten Wochen, dass ich tatsächlich ein recht aggressiver Nörgler bin, ich verzweifle mindestens fünf Mal pro Fahrt: Einmal werfe ich das Handy vom Fahrersitz aus in den Kofferraum – was bei unserem Auto tatsächlich möglich ist –, um dem Versuch zu widerstehen, einen Anruf anzunehmen. Eines Abends fragt meine Frau, warum in unserem Lenkrad Bissspuren sind und auf dem Beifahrersitz Löcher, als hätte ihn jemand als Sandsack missbraucht.
Beim Fußmarsch von der Arbeit nach Hause trete ich mit voller Wucht gegen eine Ampel. Es ist zwei Uhr morgens, die Kreuzung ist so verlassen wie eine Westernstadt nach dem Goldrausch, es fehlt nur noch der Heuballen, der trostlos über die Straße weht. Doch die
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