Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)
es dann exakt abzählen. Die an Weihnachten beim Geschenkeauspacken jeden Tesastreifen einzeln abmachen und das Papier säuberlich abziehen und dann zusammenlegen. Die am Flughafen ihren Laptop erst auspacken, wenn die Tasche bereits auf dem Band der Security liegt. So einer steht also an der Ampel, legt gemütlich den Gang ein und rollt los, als wäre heute Zeitlupentag.
Ich fletsche die Zähne, beiße ins Lenkrad und spüre das Tourette-Syndrom in mir aufsteigen.
Meine Frau sieht mich an.
Ich sage nichts, sondern fahre in Zeitlupe weiter.
Da fragt mich mein Sohn: »Papi, sind die anderen Autofahrer nicht mehr dumm?«
Da sagt meine Frau: »Nein, es ist anders: Papi ist nicht mehr dumm.«
Beide lachen.
Nachtrag: Wer nun wirklich geglaubt hat, dass ein Kapitel über Straßenverkehr tatsächlich ein Happy End hat und ich mich darin als ruhigen und gelassenen Menschen beschreiben darf, der hat sich geirrt. Denn die Versuchung ist groß, sie ist immerdar – und ich will nicht lügen und sagen, dass ich ein perfekter Mensch bin. Ich bin in diesem Jahr immer wieder mal zu schnell gefahren, meistens unabsichtlich, weil ich nicht auf den Tachometer geschaut habe. Dann bin ich immer erschrocken, als ich entdeckt habe, wie schnell ich wirklich war. Ich bin schräg über die Straße gegangen, ohne daran zu denken, dass das eigentlich verboten ist. Es war einfach der kürzere Weg. Und ich habe ein Mal die Lichthupe nicht stoßweise benutzt, sondern länger als erlaubt, weil der Fahrer vor mir partout links fahren wollte, obwohl die rechte Spur komplett frei war. Und ich bin mit meinem Auto in die Umweltzone gefahren, weil ich nicht wusste, dass unsere Karre derart alt ist und dass es seit ein paar Wochen verboten ist.
Die Gefahren im Straßenverkehr lauern an vielen Stellen, und oftmals tappen wir hinein, weil wir einfach nicht daran denken. Ich hatte nur Glück, nicht erwischt zu werden.
Nach drei Monaten allerdings habe ich das Gesetz ganz bewusst gebrochen.
Es schüttet, als hätte Petrus beschlossen, dass sich München mal wieder ordentlich gewaschen gehöre. Das Thermometer zeigt eine einstellige Zahl an, auf die ich so vorbereitet bin wie ein Gegner der Klitschkos auf einen WM -Fight: Ich habe nur Jeans und T-Shirt an.
Ich komme zur Ampel und sehe aus wie ein Klitschko-Gegner nach der ersten Runde: nass und abgehetzt, aber noch ohne Blutspuren. Die Ampel ist grün, als spurte ich los wie ein Bär, der am anderen Ende des Waldes einen Topf Honig entdeckt hat. Ich schaffe die zweispurige Fahrbahn in Richtung Innenstadt und den Tramübergang – doch als ich auf die zweite Fahrbahn zulaufe, springt die Ampel auf Rot. Ich laufe weiter, weil das Aus-vollem-Sprint-Anhalten nicht zu meinen Stärken gehört. Stoppen Sie mal einen Bären, der auf Honig zuläuft! Außerdem ist es saukalt.
Plötzlich höre ich eine Stimme, es ist nicht Gott, sondern ein trockener Polizist in seinem Auto: »Das rote Männchen gilt auch für Sie«, sagt er über den Lautsprecher. Ich drehe mich um und sehe einen Blick, den Klitschko-Gegner gerne auf der letzten Pressekonferenz vor dem Kampf aufsetzen.
Ich habe mich drei Monate an jede Verkehrsregel gehalten, und dann kommt so einer daher und motzt mich an, weil ich bei eiskaltem Regen schnell noch über die Fahrbahn gehuscht bin.
Was ich gerne machen würde: ihn beschimpfen, meine Worte mit martialischen Gesten unterstreichen und dann mit ihm anstellen, was Mike Tyson in Hochform mit den Klitschkos anstellen würde. Die Versuchung ist riesengroß.
Kurze Nutzenrechnung in meinem Kopf: Lohnt sich nicht.
Ich stapfe auf den Boden wie das HB -Männchen, dann hebe ich entschuldigend die Schultern und laufe im Vollsprint davon.
Ja, ich habe in diesem Moment das Gesetz gebrochen. Tut mir leid – aber das war es wert. Ich habe es gerne getan. Ein Jahr ohne Gesetzesbruch im Straßenverkehr? Geht nicht!
Wer von euch im Straßenverkehr ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein!
Kapitel 10
Verbrechen lohnt sich
Verbrechen lohnt sich! Ich weiß das! Ich kann es sogar beweisen!
Zufällig habe ich das Theorem des Nobelpreisträgers Gary Stanley Becker angewandt, der 1968 in seinem Werk Crime and Punishment: An Economic Approach die ökonomischen Aspekte der Kriminalität beleuchtet hat. Demzufolge unterscheidet sich die Handlungsweise von Kriminellen nicht grundlegend von der anderer Individuen. Vereinfacht: Verbrecher wollen meistens nicht anderen Personen schaden, sondern nur den eigenen
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