Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)
wollen – wir sitzen dann mit gezücktem Mittelfinger im Auto und fahren erst recht langsam, um den Unhold ein wenig zu erziehen.
Das Gesetz gestattet die Verwendung von Schall- und Leuchtzeichen, wenn man außerhalb geschlossener Ortschaften überholen möchte. Heißt: Auch die Hupe ist erlaubt. Es weiß nur kaum jemand, stattdessen glauben wir aufgrund unseres verkehrsstrafrechtlichen Halbwissens, dass Huper und Lichthuper angezeigt gehören oder zumindest mit einer Stop-and-go-Strafe am nächsten Parkplatz bestraft werden sollten. Wer Hupe und Lichthupe kurz, stoßweise und nicht länger als ein paar Sekunden nutzt, der handelt vollkommen regelkonform. Übertrieben langes Nutzen der Lichthupe in Verbindung mit zu dichtem Auffahren ist natürlich nicht in Ordnung.
Wie viele Autos kann man auf der 240 Kilometer langen Strecke von München in meinen Heimatort überholen und dabei diese Absicht mit der Lichthupe anzeigen? Ich leihe mir eine Corvette C6 Grand Sport aus: 6,2 Liter Hubraum, ein wenig mehr als 500 Pferde. Ich weiß schon: Es ist absolut unvernünftig, so ein Auto zu fahren – aber es geht hier um ein Experiment.
Vor dem Überholen hupe und lichthupe ich munter vor mich hin, auf jeder Straße: Auf der A9, auf der A3, auf der A93. Auf Bundesstraßen und Landstraßen und Schnellstraßen, sogar in der Stadt. Ich will Sie nicht mit Details nerven – wenn Sie wissen wollen, wie das ist, dann probieren Sie es einfach selbst aus. Deshalb nur eine kleine Zusammenfassung: Ich schaffe 1289 Überholmanöver mit Lichthupe. 234 Mal gibt es Kopfschütteln anderer Teilnehmer, 27 Mal habe ich den Vogel gezeigt bekommen, 43 Mal den Scheibenwischer – und ich habe 17 Mittelfinger gesehen. 93 Mal haben andere Autofahrer nach meinem Überholvorgang ebenfalls Hupe oder Lichthupe benutzt.
Wenn sie mal beleidigt werden wollen, dann halten Sie sich einfach ans Gesetz.
Nach diesem Wochenende möchte ich der bravste Verkehrsteilnehmer werden. Damit Sie die folgenden Erlebnisse besser einordnen können, möchte ich Ihnen kurz beschreiben, was für eine Art Mensch ich bin. Für mich ist die Hölle eine Supermarktkasse, an der es niemals vorwärtsgeht, das Fegefeuer ist ein Stau mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 0,3 Stundenkilometern.
Ich starte mein Vorhaben am 2. Januar. Ich will meine Frau und meinen Sohn von meinen Schwiegereltern abholen. Das Haus befindet sich inmitten einer Tempo-30-Zone. Ich hätte nie gedacht, dass diese erste Prüfung schon schrecklich werden würde. Ich fahre in die Tempo-30-Zone hinein, ich achte auf die Rechts-vor-links-Regelung, ich lasse das Auto gemütlich durch die Straßen rollen. Nach einer Minute werde ich ungeduldig und stelle fest: Tempo-30-Zonen sind die Vorstufe zur Hölle.
Ich summe die Melodie von Jeopardy, ich trommle auf dem Lenkrad, ich beiße mir auf die Unterlippe. Ich fühle mich, als wäre ich in Zeitlupe gefangen. Als ich ankomme, spanne ich alle Gesichtsmuskeln an und brülle laut: »Aaaaaaaaaaaaaaargh!« Ich muss aussehen wie ein Catcher, wenn er seinen Erzfeind zum großen Duell herausfordert, jedenfalls schüttelt meine Frau verächtlich den Kopf, während mein Sohn fragt: »Wollen wir kämpfen, Papi?«
Wir möchten zu Verwandten in ein 40 Kilometer entferntes Dorf fahren. Meine Frau hat ihr Verbot vergessen – ich darf also fahren, obwohl Finn dabei ist. Ich kenne die Strecke auswendig, weil ich sie als Beifahrer wie als Fahrer etwa 2000 Mal gefahren bin. Ich kenne die schwierigen Kurven, ich kenne die Geschwindigkeitsbegrenzung, ich kenne auch jene Stellen, an denen Polizisten gerne ihre Geräte aufstellen, weil sie dort nur schwer zu erkennen sind. Es sind keine Gefahrenpunkte, was in mir den Eindruck betonierte, dass es bei diesen Kontrollen weniger um die Erhöhung der Sicherheit ging als vielmehr um die Erhöhung der Einnahmen durch Bußgelder.
Wer sich auch im Straßenverkehr strikt an alle Gesetze halten will, der führt ständig eine Diskussion mit sich selbst. Das eine Ich sagt: »Hier gibt es keine Radarfalle. Ach, überhole doch noch schnell! Mit zwei Maß Bier kann man Auto fahren sagte schon ein bayerischer Ministerpräsident!«
Das andere Ich sagt: »Es lohnt sich nicht! Außerdem kommt es oft nicht auf deine Reaktionen an, sondern auf die der anderen! Und bayerische Ministerpräsidenten sagen nicht selten idiotische Sachen!«
Es wäre in vielen Situationen überhaupt kein Problem, das Gesetz zu brechen: zu schnell fahren, durch die
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