Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)
Staatsan-
waltschaft oder Gericht muss
Folge geleistet werden. (§§ 163a,
§214 StPO)
In Deutschland sind es nicht weniger als 843500 Menschen, die uns Gesetzestexte übersetzen und erklären, die dafür sorgen, dass wir Gesetze achten – und die entscheiden, welcher Gesetzestextübersetzer die richtige Übersetzung geschafft hat. Wir brauchen in Deutschland für 102 Bürger einen Menschen, der sich um die Erstellung, Einhaltung oder die Erklärung von Gesetzen kümmert.
843500 Menschen für etwa eine halbe Million Gesetze und Verordnungen. Damit könnte man zwölf Mal die Allianz-Arena füllen. Man könnte auch alle Einwohner Stuttgarts verscheuchen und sie durch Gesetzesmenschen ersetzen. Man könnte auch jeden von ihnen nacheinander »Hier« rufen lassen. Lässt man pro Sekunde einen brüllen, dann müsste man erst nach zehn Tagen von vorne beginnen.
Gott brauchte bei den Zehn Geboten nur einen, dem er sie am Berg zuteilwerden ließ. Aber Gott ist ja auch kein deutscher Gesetzgeber.
Kapitel 18
27000 Euro für ein Fußballspiel
Die Planespotter am Besucherpark des Münchner Flughafens sind aufgeregt: 200 stehen auf dem Hügel, 50 weitere an den Zäunen vor der Landebahn. Durch Ferngläser schauen sie auf die Einflugschneise in Richtung Nordwesten, sie warten auf die Landung der Boeing 767-33AER mit der Kennung P4-MES , des Privatjets von Roman Abramowitsch. »Dieses Flugzeug fotografiert man nur sehr, sehr selten«, sagt einer mit zwei gewaltigen Kameras in der Hand. Als eine Lufthansa-Maschine landet, drückt er gelangweilt ab: »Chronistenpflicht.« Die Abramowitsch-Boeing, das wäre eine Trophäe, noch dazu an diesem Tag. Es ist der 19. Mai 2012, der Tag des Champions-League-Finales in München.
Abramowitsch gilt als Meister des Tarnens und Täuschens. Fotos von ihm gibt es gemeinhin nur, wenn er mit Fünftagebart und sarkastischem Grinsen auf VIP -Tribünen von Fußballstadien sitzt oder in Gerichtsgebäude schreitet. Freiwillig lässt er sich nur mit Fußballern wie John Terry oder Frank Lampard in Londoner Restaurants fotografieren, wenn er dem russischen Präsidenten seine Unantastbarkeit demonstrieren muss.
Warum ich hinter Abramowitsch her bin? Es ist mein Auftrag an diesem Tag, dem Tag des Champions-League-Finales in München zwischen dem FC Bayern und dem FC Chelsea. Meine Jobbeschreibung lautet: Verfolge Roman Abramowitsch!
Ich muss versuchen, einen Menschen aufzuspüren, zu dessen Hobbys es gehört, sich nicht aufspüren zu lassen. Es ist wie das Brettspiel »Scotland Yard«, nur im richtigen Leben und auf ganz München ausgedehnt. Abramowitsch gibt den »Mister X«, ich einen der Agenten. Ich bin bereit und stehe um elf Uhr morgens am Flughafen bei den Planespottern. Meine letzte Hoffnung ist es, ihn in der VIP -Loge des Stadions anzutreffen.
Ja, ich habe tatsächlich eine Karte für diesen Bereich. Ich hatte mich als Journalist akkreditiert, allerdings bekam die Süddeutsche Zeitung nur vier Tickets für das Spiel – und ich stand auf der Liste auf Platz fünf!
Ich hatte mich schon damit abgefunden, das Spiel vor dem Fernseher in der Redaktion zu verfolgen und den Kollegen bei der Erstellung der Sonderseiten zu helfen, als mir drei Tage vor dem großen Spiel mein Freund Murat dieses tolle Ticket anbot:
Ja, tatsächlich: Ein VIP -Ticket für das Champions-League-Finale in München.
Ich informiere meine Vorgesetzten über die Möglichkeit, doch ins Stadion zu gelangen – und die erteilen mir sogleich Aufträge: Einzelkritik FC Chelsea. Bericht über das Verhalten von Horst Seehofer und Christian Ude, die nebeneinander auf der Tribüne sitzen. Infos über das Essen in der Loge für den Liveblog. Reportage über die Suche nach einer der mythenumranktesten Personen der Welt.
Erst einmal jedoch muss ich eine Diskussion moderieren: Es streiten sich der Journalist Jürgen Schmieder und der Schwarzmarkthändler Jürgen Schmieder. Der Schwarzmarkthändler sagt: »Was ist eigentlich, wenn du die Karten versteigerst? Da steht nirgends dein Name drauf, du hast Zugang zu sämtlichen VIP -Bereichen des Stadions, und während des Spiels sitzt du direkt bei den Promis. Was wird für so ein Ticket wohl bezahlt?«
Nachschauen schadet nicht – obgleich ich fast vom Stuhl kippe, als ich die Preise sehe, die auf diversen Internetseiten aufgerufen werden. 4500 Euro für zwei Karten der niedrigsten Kategorie, 7000 Euro für einen Sitzplatz im Oberrang, 11300 Euro für einen Platz auf der Haupttribüne.
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