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Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)

Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)

Titel: Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Schmieder
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Verbreitung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht.« Wer also einen Mitmenschen als »verlausten Penner« bezeichnet, wird auch dann bestraft, wenn sich herausstellt, dass der Beleidigte tatsächlich unter einer Brücke wohnt und ein paar Läuse beherbergt.
    Auch interessant: Es gibt zwar keine Beamtenbeleidigung, wohl aber eine Beleidigung durch Amtsträger. Der Bundesgerichtshof verurteilte im Februar 2006 einen Richter, der einen Prozessbeteiligten gefragt hatte, »ob dieser ihn nicht verstehen will oder zu dumm sei, ihn zu verstehen«. Das Oberlandesgericht Frankfurt erlaubte im August 2002 die Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit, nachdem der eine Prozesspartei als »Querulant« bezeichnet hatte.
    Es treffen also das Recht auf freie Meinungsäußerung und der Tatbestand der Beleidigung aufeinander – und in jedem einzelnen Fall muss geprüft werden. Es geht darum, ob sich jemand durch eine Aussage in seiner Ehre verletzt fühlt und ob es tatsächlich die Absicht des vermeintlichen Täters war, den anderen zu beleidigen.
    Dazu gibt es einen schönen Fall aus einer juristischen Wochenzeitung: Ein Passagier im Flugzeug ärgert sich darüber, dass der Pilot nicht zügig genug zur Startbahn fährt, die Tür zum Cockpit steht offen. Wütend ruft der Gast nach vorne: »Sie sind ja nicht mehr als ein Busfahrer!« Neben ihm sitzt jedoch ein anderer Passagier, der von Beruf Busfahrer ist. Nun entscheiden Sie: Wer ist in diesem Fall beleidigt worden? Der Begriff »Busfahrer« hat an sich keinen ehrverletzenden Charakter – ganz im Gegenteil, es ist ein schöner Beruf –, doch könnte sich der Pilot beleidigt fühlen, weil ihn der Passagier – wie aus den Umständen hervorgeht – klar verletzen wollte. Auch der Busfahrer selbst könnte gekränkt sein, weil sein Nebenmann unterstellt, dass Busse zu steuern eine minderwertige Profession sei. Nur: Ausschlaggebend ist bei einer Beleidigung nicht der Wortlaut, sondern der Vorsatz, eine Person oder eine bestimmte Gruppe zu beleidigen. Der wütende Passagier wollte offensichtlich den Piloten in seiner Ehre kränken, nicht aber seinen Nebenmann, von dem er ja gar nicht wusste, dass der Busfahrer ist. Also hätte nur der Pilot die Möglichkeit, den aggressiven Gast anzuzeigen.
    Der Umgang mit ehrverletzenden Äußerungen ist wie das Balancieren auf einem Hochseil über einem gefrorenen Teich: Man könnte jeden Moment herunterfallen – und dann weiß man nicht, ob das Eis einen trägt, ob sich darunter nur Wasser oder eventuell Krokodile befinden und ob die Menschen am Ufer einen herausziehen oder noch ein paar Piranhas hinterherwerfen.
    Ich habe einmal in einer Einzelkritik die Innenverteidiger des FC Bayern – es waren damals Breno und Anatolij Timoschtschuk – als »Taps und Taumel« bezeichnet. Der FC Bayern verklagte mich nicht, auch die beiden Spieler nahmen die Ausdrücke mit Humor – einer ließ sich die Kritik gar in seine Landessprache übersetzen und soll herzlich darüber gelacht haben. Ein Kollege und drei Leser allerdings fanden es gar nicht lustig und forderten mich auf, die Beleidigungen künftig zu unterlassen. Das zeigte mir: Es kommt nicht nur auf den Einzelfall an, sondern auch auf den einzelnen Menschen. Was der eine komisch findet, hält der andere für eine schlimme Beleidigung.
    Wie oft passiert so etwas?
    Ich habe noch nie jemanden wegen Beleidigung angezeigt, aber ich habe mich sehr wohl beleidigt gefühlt. Ich habe mich geärgert, bin aber meist nach den Worten des Dichters Lucius Annaeus Seneca verfahren: »Entweder ist es ein Mächtigerer, der dich beleidigt hat, oder ein Schwächerer. Ist er schwächer, so schone ihn, ist er mächtiger, so schone dich!«
    Am ersten Tag meines Projekts, ein Jahr lang kein Gesetz zu brechen, unterhalte ich mich beim Frühstück mit meiner Frau. Wir sprechen über Freunde, Verwandte, Kollegen. Ich nenne eine von Hannis Freundinnen eine Verrückte. Wäre Hanni nun ein bösartiger Mensch, würde sie mich anzeigen. Weil sie aber nur ein böswilliger Mensch ist, schreibt sie der Freundin nur eine SMS und erzählt ihr, wie ich sie gerade genannt habe. Ich frage meine Frau, ob sie noch zu retten sei. Sie sagt nur: »Ich will dir nur zeigen, wie schnell das gehen kann mit den Beleidigungen! Reiß dich endlich mal zusammen!« Außerdem beschwert sie sich, dass ich sie an diesem Morgen schon drei Mal in ihrer Ehre herabgesetzt hätte. Ich hätte keine Schimpfwörter verwendet, aber mich

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